Friedens-Wissenschaft und -Bewegung – keine wunderbare Freundschaft? Ein Kommentar

Von rechts nach links: Prof. Dr. Theodor Ebert, Martin Singe, Petra K. Kelly und die Autorin (Christine Schweitzer).
Panel zur Konferenz über Soziale Verteidigung (Minden 1988).  Von rechts nach links: Prof. Dr. Theodor Ebert,  Martin Singe, Petra K. Kelly und die Autorin Christine Schweitzer.

 

Für die Friedensbewegung ist die Friedensforschung immer ein wichtiger Referenzpunkt gewesen und Friedensforscher*innen waren Teil der Bewegung. Doch in den letzten zwei Jahrzehnten hat sich die Friedensforschung von der Bewegung entfremdet.

Braucht die Friedensbewegung die Friedensforschung?

Die Friedensforschung sollte für die Friedensbewegung eine wichtige Quelle von Informationen sein. Beispiele sind neben den Arbeiten einzelner Friedensforscher*innen die Berichte von SIPRI oder die Friedensgutachten, die gemeinsam von fünf bzw. jetzt noch vier deutschen Friedensforschungsinstituten erstellt werden. Auch Zeitschriften wie die die im Berliner Wissenschaftsverlag erscheinende Friedens-Warte, die schon 1899 von dem Friedensaktivsten Alfred H. Fried gegründet wurde, und natürlich die der Bewegung vielleicht am nächsten stehende Wissenschaft & Frieden finden trotz teilweise nicht unerheblicher Paywalls Leser*innen auch in der Friedensbewegung. Doch die große Mehrheit der friedenswissenschaftlichen Publikationen heute reflektiert eher die Perspektiven des Mainstreams in der Politik als dass sie als kritische Forschung alternative Perspektiven vermittelte.

Es gibt zwei Ausnahmen: Eine enge Beziehung zwischen Wissenschaft und Praxis besteht im Feld der Zivilen Konfliktbearbeitung. Beispiele sind in Deutschland die Arbeitsgemeinschaft Frieden und Entwicklung (FriEnt) oder das Zentrum für Internationale Friedenseinsätze (ZIF).

Die Forschung über gewaltfreien Widerstand und über Soziale Verteidigung ist ein Feld von enormer Bedeutung für die gewaltfreie Bewegung. Die Studien, die den Erfolg gewaltfreien Widerstands belegen und untersuchen, sind von unmittelbarer Bedeutung nicht nur für die Debatte um Gewaltfreiheit als Dritten Weg, sondern auch für die Praxis von Bewegungen. Herausgehoben werden sollen hier die Arbeiten von Sharon Erickson Nepstad, Erica Chenoweth und Maria J. Stephan und die Zeitschrift Journal of Resistance Studies.

 

Braucht die Friedensforschung die Friedensbewegung?

Diese Frage ist nicht so eindeutig zu beantworten. Es finden sich bei Veranstaltungen der Friedensbewegung nur noch vereinzelt Referent*innen aus der Friedenswissenschaft und noch weniger, die sich als Aktivist*innen in der Bewegung engagieren. Das war mal anders – die im oder nach dem 2. Weltkrieg geborene Generation hatte eine Zahl von Politolog*innen, Psycholog*innen oder Pädagog*innen hervorgebracht, die ihre Expertise in die Bewegungen einbrachten. Doch die jüngeren Generationen sind ihrem Beispiel nicht gefolgt.

Ein etwas anderes Bild als in den Geisteswissenschaften gibt es allerdings in den Natur- und Gesundheitswissenschaften: In den 1980er Jahren hatten sich mehrere berufsbezogene Organisationen gebildet, die es bis heute gibt und deren Mitglieder schwerpunktmäßig an Universitäten tätig sind: die Naturwissenschaftler*innen – Verantwortung für Frieden und Zukunftsfähigkeit, das Forum Friedenspsychologie und das Forum InformatikerInnen für Frieden und gesellschaftliche Verantwortung (FiFF) gehören dazu, und auch die Internationalen Ärzt*innen zur Verhütung des Atomkrieges / Ärzt*innen in sozialer Verantwortung (kurz: IPPNW) könnten hier hinzu gezählt werden.

 

Folgerungen

Die Entfremdung zwischen Friedensforschung und Friedensbewegung ist ein Prozess, der eigentlich beiden Seiten schadet. Die Friedensbewegung läuft immer mehr Gefahr, sich auf dubiose, manchmal verschwörungstheoretische, manchmal offen rechtsextreme Zeugen zu berufen, was auch zu Spaltungsprozessen innerhalb der Bewegung (zumindest in Deutschland) führt. Die Abwesenheit von seriösen Wissenschaftler*innen, die sich in die Debatten einmengen, ist vielleicht nicht Ursache, aber zumindest eine diesen Trend unterstützende Entwicklung. Und die Friedensforschung umgekehrt läuft Gefahr, zu Claqueuren der herrschenden Politik zu werden und ihren Einfluss auf Veränderung von Politik einzubüßen.

 

Empfehlungen

Es wäre zu wünschen, dass diejenigen, die Frieden „studieren“ – also diejenigen, die einschlägige Studienfächer belegt haben, und diejenigen, die sie unterrichten – sich mehr in die Friedensbewegung einbringen würden. Sie könnten dort mit ihrem Hintergrund und ihrem Wissen einen Unterschied machen. Für jüngere Menschen heute ist es nicht mehr unbedingt klar, was Friedensbewegung ist und tut.

Die in der Friedensbewegung Aktiven sollten ihre eigenen Fähigkeiten in kritischer Analyse und Recherche weiterbilden und lernen – soweit sie dies nicht schon längst tun –, keiner Quelle blind zu vertrauen, sondern Faktenchecks anzustellen, sowie zu erkennen, ob Behauptungen ungeprüft proliferiert werden. Das Ergebnis wären weniger unsinnige Verschwörungstheorien und mehr Seriosität, die auch im Gespräch mit Andersdenkenden – die man ja überzeugen möchte – von Gewinn sein dürfte.

 

ÜBER DIE AUTORIN

Dr. Christine Schweitzer, Geschäftsführerin beim Bund für Soziale Verteidigung und wissenschaftliche Mitarbeiterin beim deutschen Institut für Friedensarbeit und Gewaltfreie Konfliktaustragung. Ihre Schwerpunkte sind Zivile Konfliktbearbeitung, Soziale Verteidigung, gewaltfreie Intervention in gewaltsame Konflikte und Ziviles Peacekeeping. Ihre Publikationen können hier eingesehen werden: https://www.ifgk.de/vorstellung/mitarbeiterinnen-und-mitarbeiter/christine-schweitzer/