Österreich | Verletzung von Kinderrechten durch Fehlen verbindlicher Klimaschutzziele?

“You say you love your children above all else and yet you are stealing their future in front of their very eyes.” – Greta Thunberg

 

In einer 2023 erhobenen Klage behauptet eine Gruppe österreichischer Kinder die Verfassungswidrigkeit des Klimaschutzgesetz 2011 und verlangt dessen (teilweise) Aufhebung. Tatsächlich ist in Österreich – trotz der immer dringlicheren Warnungen der Wissenschaft vor den gefährlichen Folgen des Klimawandels – eine politische Einigung auf ein neues Klimaschutzgesetz bisher nicht gelungen. Seit Ende 2020 gibt es auf nationaler Ebene keine gesetzlich verbindlichen Treibhausgasreduktionsziele für die einzelnen Sektoren mehr; aktuellen Berechnungen zufolge wird Österreich bei gleichbleibenden Emissionen das nationale CO2-Restbudget bereits 2025 aufgebraucht haben.

Der Klimawandel gefährdet und verletzt Grund- und Menschenrechte. Weltweit hat diese Erkenntnis zu über 100 grundrechtsbasierten Klimaklagen geführt, in denen Kläger und Klägerinnen insb. die Ergreifung effektiver Klimaschutzmaßnahmen durch einzelne Staaten gerichtlich durchzusetzen versuchen. Vereinzelt waren solche Klagen erfolgreich. Zuletzt hob etwa das deutsche Bundesverfassungsgericht mit dem „Klimabeschluss“ einzelne Bestimmungen des deutschen Bundes-Klimaschutzgesetz 2019 mit der Begründung auf, dass diese zu einer einseitigen Verlagerung der Treibhausgas-Minderungslast in die Zukunft führten und der Gesetzgeber keine ausreichenden Vorkehrungen für deren (spätere) grundrechtsschonende Bewältigung getroffen habe. Die Grundrechte der Beschwerdeführenden waren somit bereits in der Gegenwart verletzt.

 

Klimawandel als globale und intertemporale Herausforderung

Die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts veranschaulicht, dass die globale und intertemporale Herausforderung „Klimawandel“ komplexe Problemstellungen aufwirft und eine juristische Auseinandersetzung insbesondere mit Fragen der intergenerationellen (Verteilungs-)Gerechtigkeit notwendig macht. Von besonderer Relevanz sind dabei die Grundrechte, verlangen sie doch sowohl eine Hintanhaltung von Gefährdungen des Lebens und der Gesundheit durch den Klimawandel als auch die grundrechtsschonende Ausgestaltung von Klimaschutzmaßnahmen – komplexe Abwägungsentscheidungen sind unausweichlich. Dass politische Einigungen in diesem Spannungsfeld und vor dem Hintergrund zahlreicher, unterschiedlich gelagerter Krisen schwierig sind, zeigt sich besonders drastisch am Beispiel Österreichs. Das Klimaschutzgesetz 2011, welches die koordinierte Umsetzung wirksamer Klimaschutzmaßnahmen ermöglichen soll und in seinen Anhängen sektorenspezifische Höchstmengen von Treibhausgasemissionen vorsieht, wurde – mangels politischer Einigung – zuletzt 2017 novelliert. Seit Beginn des Jahres 2021 sieht es keine gesetzlich verbindlichen Treibhausgasreduktionsziele für die einzelnen Sektoren mehr vor, was – bei gleichbleibenden Emissionen – dazu führen wird, dass das aus dem im Pariser Übereinkommen vereinbarten +1,5°C-Ziel abgeleitete nationale CO2-Restbudget bereits Mitte 2025 aufgebraucht sein wird.

 

Klimaklage gegen das österreichische Klimaschutzgesetz

Vor diesem Hintergrund erhob eine Gruppe österreichischer Kinder im Februar 2023 eine Klage an den österreichischen Verfassungsgerichtshof und behauptete darin die teilweise Verfassungswidrigkeit des Klimaschutzgesetz 2011. Die minderjährigen Kläger und Klägerinnen brachten vor, dass sie durch das Klimaschutzgesetz in ihren verfassungsgesetzlich gewährleisteten Kinderrechten sowie in ihrem Recht auf Gleichheit vor dem Gesetz verletzt seien. In Österreich verankert das in Umsetzung der UN-Kinderrechtskonvention erlassene Bundesverfassungsgesetz über die Rechte von Kindern spezielle Grundrechte von Kindern. Demnach hat jedes Kind das Recht auf Wahrung des Kindeswohls, und zwar „unter dem Gesichtspunkt der Generationengerechtigkeit“. Die Kläger und Klägerinnen leiteten daraus (in der Zusammenschau mit anderen verfassungsrechtlichen Normen) ab, dass den österreichischen Staat eine positive Verpflichtung zur Ergreifung rechtzeitiger und geeigneter Klimaschutzmaßnahmen treffe. Letzterer müsste insbesondere die Nicht-Überschreitung des nationalen CO2-Restbudgets und eine gerechte Verteilung des verbleibenden CO2-Budgets zwischen den Generationen sicherstellen. Da das Klimaschutzgesetz 2011 gegen diese Pflichten verstoße, sei es in Teilen als verfassungswidrig aufzuheben. Daneben machten die Kläger und Klägerinnen eine Verletzung in ihrem Recht auf Gleichheit vor dem Gesetz geltend. In seiner Ausprägung als allgemeines Sachlichkeitsgebot gebietet der Gleichheitssatz, dass Rechtsnormen einem öffentlichen Interesse dienen und dieses mit verhältnismäßigen Mitteln verfolgen müssen. Nach Ansicht der Kläger verletzt das Klimaschutzgesetz 2011 auch das allgemeine Sachlichkeitsgebot, da es zwar ein öffentliches Interesse (Schutz des Klimas) verfolge, aber faktisch – mangels verbindlicher Treibhausgasreduktionsziele – keinen Beitrag zu dessen Verwirklichung leiste. Außerdem führe das Klimaschutzgesetz zu einer Verlagerung der mit der Treibhausgasreduktion verbundenen Lasten auf jüngere Generationen und damit zu einer sachlich nicht gerechtfertigten Ungleichbehandlung von Kindern gegenüber Erwachsenen. Insofern müsste das Klimaschutzgesetz in Teilen aufgehoben werden.

 

Ausblick

Die für das erste Halbjahr 2023 erwartete Entscheidung des Verfassungsgerichtshofs in dieser und zwei weiteren anhängigen Klimaklagen wird mit Spannung erwartet, gibt es in Österreich bisher doch keine höchstgerichtliche Entscheidung, die das Bestehen staatlicher Schutzpflichten im Kontext des Klimawandels anerkennt oder sich gar mit intertemporalen Aspekten der Klimakrise auseinandersetzt. Verantwortlich dafür sind nicht zuletzt die engen Zulässigkeitsvoraussetzungen, die das österreichische Recht für Beschwerden an den Verfassungsgerichtshof vorsieht und die eine inhaltliche Befassung des Höchstgerichts mit den grundrechtlichen Implikationen des Klimawandels bisher verhindert haben. Sollten auch die nunmehr beim Verfassungsgerichtshof anhängigen Klimaklage(n) an der Zulässigkeit scheitern, so sind neue Erkenntnisse zumindest aus Straßburg zu erwarten. Dort wird der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte nicht nur über erste Klimaklagen gegen die Mitgliedsstaaten der Europäischen Menschenrechtskonvention entscheiden, sondern auch über die Frage, ob die in Österreich geltenden, engen Zulässigkeitsvoraussetzungen für Verfassungsbeschwerden einen Verstoß gegen das Recht auf wirksame Beschwerde darstellen.

 

ÜBER DIE AUTORIN

Julia Wallner (Mag. iur.) ist Universitätsassistentin am Institut für Öffentliches Recht und Politikwissenschaft der Universität Graz. Sie dissertiert im Bereich des Klimaschutzrechts und ist österreichische Berichterstatterin bei der „Global Climate Litigation Database“.