Österreich: Klimaklagen haben es schwer

Die im Juni 2023 ergangenen Entscheidungen des Verfassungsgerichtshofs hinsichtlich vier Klimaklagen bringen wenig Neues für die österreichische Klimapolitik: Zwar hat das Höchstgericht erstmals – zumindest implizit – anerkannt, dass die verfassungsrechtlich verankerten Grundrechte den Staat zur Ergreifung von Klimaschutzmaßnahmen verpflichten, gleichzeitig aber betont das Gericht den weiten rechtspolitischen Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers, der nur dort seine Grenze findet, wo es an geeigneten Schutzmaßnahmen gänzlich fehlt oder Maßnahmen zur Erreichung des Schutzziels offensichtlich ungeeignet sind. Unter welchen Voraussetzungen sich eine Maßnahme als „offensichtlich ungeeignet“ erweist, bleibt weiterhin unklar – eine inhaltliche Auseinandersetzung mit den von den Klägerinnen und Klägern vorgebrachten grundrechtlichen Bedenken ist in drei von vier Fällen – mangels Zulässigkeit der Klagen – unterblieben. Neue Erkenntnisse könnte der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte liefern, der demnächst erstmals über Klimaklagen gegen die Mitgliedsstaaten der Europäischen Menschenrechtskonvention und über die Grundrechtskonformität der engen Zulässigkeitsvoraussetzungen für Beschwerden an den österreichischen Verfassungsgerichtshof entscheiden wird.

 

Klimawandel und Grundrechte

Im Jahr 2009 hat das Büro des Hohen Kommissars für Menschenrechte der Vereinten Nationen in einem Bericht (Report on the relationship between climate change and human rights) erstmals festgestellt, dass die Auswirkungen des Klimawandels die Verwirklichung der Grund- und Menschenrechte gefährden und die internationale Staatengemeinschaft entsprechende Verpflichtungen treffen müssen. Der damit grundgelegte „menschenrechtsbasierte Zugang“ zum Klimawandel hat sich rasch durchgesetzt und heute ist allgemein anerkannt, dass die Folgen des Klimawandels ebenso wie Maßnahmen zum Schutz des Klimas in Grundrechte eingreifen und diese verletzen können. Komplexe Abwägungsentscheidungen sind unausweichlich, denn grundrechtlich geboten erscheint nicht nur die Ergreifung von Maßnahmen zur Anpassung an den Klimawandel und zur Reduktion der Treibhausgasemissionen (etwa zum Schutz des Lebens oder der Gesundheit), sondern auch die grundrechtskonforme Ausgestaltung dieser Maßnahmen (so darf es nicht zu unverhältnismäßigen Eingriffen etwa in das Recht auf Eigentum oder die Erwerbsfreiheit kommen und die mit der Treibhausgasreduktion in Zusammenhang stehenden Lasten müssen intertemporal gerecht verteilt werden).

 

Grundrechtsbasierte Klimaklagen

Das Verständnis des Klimawandels als Grund- und Menschenrechtskrise hat auf nationaler und internationaler Ebene zur Erhebung zahlreicher grundrechtsbasierter Klimaklagen geführt. Klägerinnen und Kläger berufen sich darin auf die staatliche Pflicht zum Schutz der Grundrechte und argumentieren, dass Staaten Maßnahmen zur Bekämpfung der Klimakrise ergreifen müssen, etwa um das Recht auf Leben oder das Recht auf Gesundheit zu schützen. Im Zentrum stehen dabei – neben den in zahlreichen Rechtsordnungen bestehenden verfahrensrechtlichen Hindernissen für Klimaklagen – Fragen nach dem grundrechtlich geforderten Klimaschutzniveau bzw. nach Umfang und Grenzen des gesetzgeberischen Gestaltungsspielraums. Vereinzelt waren grundrechtsbasierte Klimaklagen erfolgreich. Sie zeigen, dass Grundrechte zentrale Determinante einer ambitionierten Klimaschutzpolitik sein können: So hat etwa das niederländische Höchstgericht die Niederlande auf Basis der Grundrechte dazu verpflichtet, seine nationalen Treibhausgasemissionen bis 2020 um 25 Prozent zu reduzieren (Urgenda). Und das deutsche Bundesverfassungsgericht hat einzelne Bestimmungen des Bundes-Klimaschutzgesetzes 2019 aufgehoben, da diese – mangels ausreichend hoher Ziele zur Treibhausgasreduktion – zu einer mit den Grundrechten nicht vereinbaren einseitigen Verlagerung der Treibhausgasreduktionslast auf die Zukunft führen (Klimabeschluss).

 

Klimaklagen in Österreich

Anders stellt sich die Situation in Österreich dar, wo ein Mangel an effektiven Maßnahmen zum Klimaschutz dazu führt, dass aus dem 1,5-Grad-Ziel abgeleitete nationale Treibhausgasbudget bei gleichbleibenden Emissionsmengen bereits 2025 aufgebraucht sein wird (vgl. dazu den Fact Sheet des Climate Change Center Austria) und es an verbindlichen Zielen zur Treibhausgasreduktion für die einzelnen Sektoren fehlt (vgl. Klimaschutzgesetz). Vor diesem Hintergrund wurden in Österreich mehrere Klimaklagen erhoben, mit denen eine ambitioniertere Klimapolitik, etwa durch Aufhebung von Teilen des Klimaschutzgesetzes oder die Durchsetzung eines schrittweisen Verbots des Verkaufs erneuerbarer Energieträger, durchgesetzt werden sollte. Erfolge wie jene in Deutschland oder den Niederlanden können dabei bisher nicht verzeichnet werden.

Zuletzt hat der Verfassungsgerichtshof im Juni 2023 u.a. über die Klage einer Gruppe von Kindern entschieden (vgl. dazu: Österreich: Verletzung von Kinderrechten durch Fehlen verbindlicher Klimaschutzziele?). Die minderjährigen Antragstellerinnen und Antragsteller begehrten darin die Aufhebung einzelner Teile des Klimaschutzgesetzes, da sie sich durch das Fehlen verbindlicher Treibhausgasreduktionsziele in ihren verfassungsgesetzlich gewährleisteten Kinderrechten und in ihrem Recht auf Gleichheit vor dem Gesetz verletzt sahen. Der Verfassungsgerichtshof hielt diese – und eine weitere gegen das Klimaschutzgesetz gerichtete – Klage aus formalen Gründen für nicht zulässig. Ebenso unzulässig war eine bereits zum zweiten Mal eingebrachte Klage gegen die steuerliche Begünstigung des Flugverkehrs gegenüber dem Zugverkehr. In allen drei Fällen waren formale Gründe ausschlaggebend dafür, dass der Verfassungsgerichtshof sich nicht mit den von den Antragstellerinnen und Antragstellern vorgebrachten grundrechtlichen Bedenken auseinandergesetzt hat.

Etwas mehr Aufschluss bietet eine vierte, im Juni 2023 entschiedene Klimaklage, mit der die Antragstellerinnen und Antragsteller den schrittweisen Ausstieg aus fossiler Energie durchsetzen wollten: Zwar hat der VfGH die Klage als unbegründet abgewiesen, er hat jedoch erkannt, dass den Staat im Hinblick auf schwerwiegende Umweltbeeinträchtigungen – zu denen der VfGH zumindest implizit die Klimakrise zu zählen scheint – eine grundrechtliche Schutzpflicht trifft. Bei Erfüllung dieser Schutzpflicht steht dem Gesetzgeber regelmäßig ein weiter rechtspolitischer Gestaltungsspielraum zu, der (nur) dort seine Grenze findet, wo es an geeigneten (Klima-)Schutzmaßnahmen gänzlich fehlt oder diese zur Erreichung des Schutzziels offensichtlich ungeeignet sind. Unter welchen Voraussetzungen eine Maßnahme „gänzlich fehlt“ oder „offensichtlich ungeeignet“ ist, bleibt weiterhin offen. Sicher ist nur, dass die Grundrechte nicht zur Ergreifung bestimmter (Klimaschutz-)Maßnahmen verpflichten. Es obliegt dem demokratisch legitimierten Gesetzgeber, die Mittel zu wählen, mit denen er die Klimakrise bzw. damit einhergehende Grundrechtsverletzungen hintanhält bzw. bekämpft.

 

Ausblick

Mit dem Scheitern nationaler Klimaklagen richtet sich der Blick nach Straßburg: Dort wird der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte erstmals über mehrere Klimaklagen gegen die Mitgliedsstaaten der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) entscheiden und – so die Hoffnung – konkrete Aussagen zum Inhalt und zur Reichweite der staatlichen Schutzpflichten in der Klimakrise treffen. Aus einer positiven Entscheidung des internationalen Gerichtshofs würden sich auch unmittelbare Auswirkungen für die nationale Rechtsprechung zu Grundrechten und Klimawandel ergeben: Die EMRK steht in Österreich in Verfassungsrang und die darin verankerten Grundrechte werden vom österreichischen Verfassungsgerichtshof in aller Regel im Einklang mit der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs ausgelegt.

 

ÜBER DIE AUTORIN

Julia Wallner ist Universitätsassistentin am Institut für Öffentliches Recht und Politikwissenschaft der Universität Graz. Sie dissertiert im Bereich des Klimaschutzrechts und ist österreichische Berichterstatterin bei der „Global Climate Litigation Database“.