Aktuell polarisieren und politisieren das Thema Klimawandel sowie dazugehöriger Protest und Aktivismus. Dabei konzentrieren sich die Diskussionen vor allem auf die sogenannten Klima-Kleber*innen des Bündnisses Letzte Generation und die Meinungen spalten sich, wie legitim und zielführend diese Protestform ist. Dieser Beitrag gibt einige ausgewählte Einblicke dazu, warum dieses Thema ein relevanter Bezugspunkt für die transformative Politische Bildung ist.
Für transformative Politische Bildung ist der Zusammenhang von Klimawandel und Konflikt ein wichtiger Bezugspunkt, unter anderem auch deshalb, weil neben einem zentralen Alltags- und Lebensweltbezug damit die Auseinandersetzung mit Urteils- und Kritikfähigkeit und Handlungsperspektiven einhergeht. Das Konzeptwerk neue Ökonomie (o.J.) umfasst mit einem transformativen Zugang z.B. „Lerngelegenheiten, in denen die Menschen Erfahrungen mit Nachhaltigkeit machen und diese gemeinsam reflektieren“. Transformative Bildung wird hier folgendermaßen beschrieben: „Als ‚transformativ‘ wird Bildung verstanden, wenn es nicht nur um eine Erweiterung von Wissen oder Fähigkeiten geht, sondern um eine grundlegende qualitative Veränderung von Selbst- und Weltbildern. Hier geht es um erlernte Denk-, Fühl- und Handlungsmuster, um gewohnte Bewertungen und gesellschaftliche Leitbilder, Normen und Werten, an denen wir uns orientieren.“ Hier wird die Bedeutung von Selbstreflexivität sichtbar, dies umfasst die kritische Auseinandersetzung mit dem eigenen Selbst auf der einen Seite, damit verbundenen Denk- und Handlungsmustern, strukturellen Kontexten und Bedingungen auf der anderen Seite und schließlich die Verwobenheit und das Verhältnis zwischen diesen beiden Ebenen. Dieser Zugang ist vorliegend auch für umwelt- und klimabezogene Diskurse relevant, da die Auseinandersetzung neben der Bezugsebene der gesellschaftlichen Individuen auch die politische Kultur, kollektives Verhalten und strukturell die politische Entscheidungsebene für wirkliche Veränderungsprozesse betreffen muss. Dieser Bedarf spiegelt sich auch in unterschiedlichen themenspezifischen Protestformen und Konflikten sowie schließlich im Umgang mit diesen wider und birgt auch Konflikte, wie wir hier sehen werden.
Besonders in den letzten Jahren wurde der Protest rund um Klima sichtbar und war wiederum mit Konflikten und Kontroversen verbunden. Dies zeigte sich so z.B. auch bei den Fridays for Future und der Frage, ob Schüler*innen wegen Demonstrationen von der Schule fernbleiben dürften oder ob Lehrkräfte gemeinsam mit Kindern und Jugendlichen an entsprechenden Demonstrationen teilnehmen sollten. Auch für die Politische Bildung wurden hier Diskurse rund um Themenbereiche wie Konflikt, Partizipation und Kontroversität offenbar. Im Vergleich zu den aktuellen Diskussionen zum Protest des Bündnisses Letzte Generation erscheint dies noch als moderater Diskurs. Die Meinungen spalten sich in Zivilgesellschaft, Politik und Wissenschaft, wie jemand zu dieser Gruppierung und ihren Aktionen steht, u.a. wohl auch deshalb, weil es eine gewisse Akzeptanzschwelle innerhalb des eigenen „Wohlfühlbereichs“ gibt, wenn es um den Einsatz für Klimaschutz geht. Insbesondere im medialen Diskurs wirkt es oftmals so, als ob die Kritik an den Protestformen des Bündnisses überwiegt, seitens Vertreter*innen aus der Wissenschaft werden wiederum vergleichsweise mehr Solidaritätsbekundungen laut. Sowohl diese Protestform als auch die öffentliche Auseinandersetzung damit sind jeweils sehr konfliktiv und deuten wiederum einen transformativen Charakter im Diskurs zum Thema Klima an. Während z.B. Fridays for Future unter anderem hinsichtlich Schule und Unterricht sowie schließlich bezüglich ihrer privilegierten milieuspezifischen Zusammensetzung kritisiert werden, ist ihre Zielsetzung, möglichst die breite Gesellschaft anzusprechen und daraus kollektiv regelmäßig zu demonstrieren, um dadurch längerfristige klimapolitische Ziele zu erreichen. Die Letzte Generation setzt verstärkt auf provokante Proteste und das Überschreiten von „Wohlfühlgrenzen“ innerhalb des gesellschaftlichen Alltags und auch wenn sich die Forderungen häufig mit jenen von Fridays for Future überschneiden, wird hier der Schwerpunkt vor allem auf kurzfristige Lösungen gelegt. Auffallend ist, dass in diesem Fall primär die Aktionsformen einzelner Individuen vom Bündnis an sich zentral verhandelt werden, während die konkrete inhaltliche Auseinandersetzung und Diskussion auf den ersten Blick oft weniger sichtbar werden und nicht so direkt zugänglich sind wie es z.B. eher bei Fridays for Future vermittelt wird.
Schlussfolgerungen
Politische Bildung, die sich mit Transformationsprozessen befasst, hat auch die Aufgabe, sich mit Konflikten in der gesellschaftlich-politischen Wirklichkeit auseinanderzusetzen, z.B. mit sich wandelnden Protestformen zum Thema Klimawandel und den damit verbundenen Spannungen. Konflikthaft ist hier, wie wir gesehen haben, vor allem die jeweilige Protestform bzw. der Umgang mit dieser, umso wichtiger ist der Fokus auf die inhaltliche Ebene und einen konstruktiven Diskurs.
Empfehlungen
Für die Förderung von politischer Urteils- und Kritikfähigkeit und Handlungsperspektiven in einem transformativen Bildungsverständnis ist es zentral, sich keiner Schwarz-Weiß-Malerei hinzugeben, sondern neben der berechtigten kritischen Auseinandersetzung an den Protestaktionen anzuerkennen, dass dadurch klimapolitische Themen eine neue Sichtbarkeit erhalten, individuelle und kollektive Grenzen reflektiert und neue Diskussionen geführt werden. Einzelne Gruppen und Bündnisse sollten differenziert betrachtet werden, ebenso wie mögliche Konflikt- oder auch Überschneidungslinien zwischen ihnen. Neben dem Fokus auf spezifische Protestformen sollte schließlich die inhaltliche Ebene von unterschiedlichen Seiten sichtbarer verhandelt werden: von politischer, medialer, zivilgesellschaftlicher Seite, aber schließlich auch von den Gruppierungen und Bündnissen selbst. Die Forderungen und Diskussionen müssen für die breite Gesellschaft zugänglich und erfahrbar, niedrigschwellig und mit Beispielen für Alltag und Lebenswelt nachvollziehbar sein. Für transformative Politische Bildungsprozesse ist es schließlich relevant, den Fokus nicht rein auf das Denken und Handeln von Individuen zu richten, sondern übergreifende strukturelle Verantwortungsbereiche zu adressieren.
ÜBER DIE AUTORIN
Lara Kierot ist Politikwissenschaftlerin und ist als Postdoc Universitätsassistentin in der Professur Didaktik der Politischen Bildung an der Universität Wien tätig. Derzeit ist sie Vorstandsmitglied der Interessensgemeinschaft Politische Bildung (IGPB) und des Verbandes der Wissenschaftlichen Gesellschaften Österreichs (VWGÖ). Darüber hinaus gründete sie die Sektion Politikdidaktik in der Österreichischen Gesellschaft für Politikwissenschaft (ÖGPW) und ist deren Sprecherin.