In einer polarisierten Welt verliert der „Globale Westen“ in der internationalen Friedensvermittlung zunehmend an Raum, der von Akteur:innen aus dem „Globalen Süden“ gefüllt wird. Das liegt oftmals an ideologischen Vorbehalten im Kontext strategischer Rivalitäten. Stattdessen sollte aber im Sinne der effektiven Friedensvermittlung in einer immer stärker polarisierten Welt der komparative Vorteil im Vordergrund stehen. Das könnte nicht zuletzt eine Chance für Österreich bieten, als internationaler Akteur aufzutreten. Die Nachfrage nach österreichischer Vermittlung bleibt derweil bestehen.
Anstieg internationaler Gewalt – der Westen schwächt sich durch Schwarz-Weiß-Denken
Die jüngsten Ereignisse in verschiedenen Teilen der Welt scheinen darauf hinzudeuten, dass Krieg wieder zu Routine wird. Das Jahr 2022 war bereits das tödlichste Jahr in Bezug auf bewaffnete Konflikte seit dem Völkermord in Ruanda im Jahr 1994, mit etwa zwei Milliarden Menschen, die von bewaffneten Konflikten betroffen waren, und über 100 Millionen Zwangsvertriebenen. Das Jahr 2023 wird mit ziemlicher Sicherheit noch schlimmer ausfallen.
In der Tat lässt sich weltweit ein Stillstand in wichtigen Friedensprozessen erkennen, mit dem Ergebnis militärischer Abschreckung und einer Hinwendung zu bewaffneten Konflikten, sobald der geeignete Zeitpunkt gekommen scheint. Eine Folge aus dieser Dynamik ist eine Zerstörung der internationalen Ordnung, die auf die friedliche Lösung von Konflikten aufgebaut ist. Eine weitere Folge ist ein Leben in zunehmender Unsicherheit und Angst.
Gleichzeitig scheinen die Zeiten vorüber zu sein, in denen der US-Präsident ein paar Mal zum Telefon greift und dadurch ein Friedensprozess in Gang kommt – wie es von erfahrenen Diplomat:innen beschrieben wird. In der Tat haben spätestens der Ukraine-Krieg und der Krieg Israel-Hamas dazu beigetragen, dass sich ein moralisches Schwarz-Weiß-Denken im „Globalen Westen“ (grob gesagt, Europa und die USA) durchgesetzt hat. Es wird dabei ganz klar dargelegt, wer der Feind ist und wer auf der richtigen Seite steht.
Die Realität ist hingegen in den meisten Fällen viel komplexer und vielschichtiger. Die grauen Zonen, die sich in dieser Realität finden, werden nun zunehmend von anderen Akteur:innen besetzt. In der Zwischenzeit erleidet der „Globale Westen“ einen immensen Glaubwürdigkeitsverlust im Rest der Welt.
Graue Zonen werden vom „Globalen Süden“ besetzt
Diese anderen Akteure kommen zunehmend aus den Reihen der Staaten des „Globalen Südens“ (grob gesagt, Afrika, Asien und Lateinamerika), inklusive den sogenannten BRICS-Staaten und deren neu eingeladenen Mitgliedern. Oft sehen sich diese schnell dem Vorwurf ausgesetzt, Vermittlungsbemühungen als Teil des internationalen Wettbewerbs zu instrumentalisieren. Demnach würden diese Staaten ihre Rolle als Vermittler als „Verhandlungsmasse“ gegenüber rivalisierenden Großmächten benutzen. Da einige dieser Staaten außerdem eine destruktive Rolle bei der Unterstützung verschiedener Konfliktparteien spielen, solle man sie demnach ohnehin nicht ernst nehmen.
Man darf bei solchen Darstellungen, bei allem Wahrheitsgehalt, natürlich nicht übersehen, dass wohl alle diese Attribute auch auf Staaten des „Globalen Westens“ zutreffen. In der Tat kann man insgesamt gesehen einen zunehmenden Grad an Internationalisierung und eine daraus resultierende Instrumentalisierung von Konflikten beobachten. Über 90 Staaten sind zumindest teilweise in irgendeine Form von externen Konflikten verwickelt. Genügend davon kommen aus dem „Globalen Westen“.
Diese internationale Polarisierung bereitet auch dem UNO-Sicherheitsrat Probleme, Entscheidungen zu treffen, was zu einem minimalistischen Ansatz mit negativem Frieden führt und nicht zu transformativen und tatsächlich friedensfördernden Mandaten. Die Folge dieser Dynamik sind langwierige Konflikte und ein Stillstand der Verhandlungen, in welchen die Vereinten Nationen immer weniger eine Rolle zu spielen vermögen.
Erfolg ergibt sich aus der Zusammenarbeit verschiedener Akteur:innen
Allerdings bringen uns Wertigkeiten und internationale Rivalität auch hier nicht weiter. Im Gegenteil, es sollte nach Möglichkeiten gesucht werden, komparative Vorteile verschiedener Akteur:innen bestmöglich zu nutzen und zu fördern. Wenn die Türkei das Schwarzmeer-Getreideabkommen vermitteln und eine Zeitlang aufrechterhalten konnte, wenn Saudi-Arabien das wohl bisher erfolgreichste internationale Treffen zur Lösung des Ukraine-Kriegs ausrichten kann, dann sollte man auf diese Erfolge aufbauen. Wenn Katar die Freilassung der ersten israelischen Geiseln und die USA die Lieferung der ersten Hilfsgüter an die Bevölkerung in Gaza erwirken können, dann hat der jeweilige Einfluss auf die Konfliktparteien konkrete Früchte getragen.
Allerdings können aus dieser komplizierten und durchaus fragmentierten Landschaft der internationalen Vermittlung letztlich nur dann nachhaltige Ergebnisse resultieren, sofern es dabei nicht bei einzelnen Mosaiksteinen bleibt, sondern sich daraus ein komplettes Kunstwerk ergibt. Dieses Kunstwerk eines veritablen Friedensprozesses muss in jedem Fall die einfachsten Grundsätze der Mediation beachten. Dazu zählt die Tatsache, dass Frieden nur mit Feinden geschlossen werden kann, dass ein Friedensprozess also jene Parteien miteinbeziehen muss, die Einfluss auf den Konflikt haben.
Nachfrage nach österreichischer Vermittlung besteht weiter
Auch Österreich hat in der Vergangenheit wichtige Beiträge als geschätzter Vermittler in Konflikten geleistet. Trotz einer gewissen Beteiligung an „westlicher“ Schwarz-Weiß-Malerei, besteht die Nachfrage nach österreichischer Friedensvermittlung weiter, wie die Erfahrung unserer täglichen praktischen Arbeit auf internationaler Ebene in unterschiedlichen Kontexten wie dem Westbalkan, dem Südkaukasus, dem Nahen und Mittleren Osten, Ost- und Westafrika oder Staaten wie dem Sudan oder Libyen verdeutlicht.
Wenn derzeit an der österreichischen Sicherheitsstrategie gearbeitet wird, sollte dies in Betracht gezogen werden. Ein vermittelnder Ansatz kann erstens zu einer nachhaltigen Stabilisierung von Regionen beitragen, die für Österreichs Sicherheit relevant sind. Zweitens festigt ein solcher Ansatz eine positive Wahrnehmung Österreichs in der Welt. Dies trägt zur Stärkung eigener Positionen und damit auch zur Durchsetzung eigener Sicherheitsinteressen bei.
Erfahrungen vergleichbarer europäischer Staaten, wie die Schweiz, Finnland oder Norwegen, die sich auch heute erfolgreich als Friedensvermittler einsetzen, zeigen, dass seriöse Arbeit in diesem Bereich nachhaltige Ressourcen für sowohl staatliche als auch zivilgesellschaftliche Akteur:innen benötigt. Diese ermöglichen es, einerseits den notwendigen Aufbau von Forschungs- und Praxiskapazitäten zu betreiben und andererseits Vermittlungsprozesse kontinuierlich zu begleiten und zu unterstützen. Es ist jedenfalls müßig, darauf hinzuweisen, dass internationale Konfliktbearbeitung zu wenig Ergebnisse vorzuweisen hat, wenn man sich vor Augen hält, wie verschwindend wenig in solche Arbeit investiert wird und wie immens viel in Aufrüstung gesteckt wird.
Wenn all dies in Betracht gezogen wird, könnte auch Österreich seinen komparativen Vorteil als angesehener neutraler Staat einbringen, vielleicht im Zusammenspiel mit einem der „anderen“ Akteure – und dadurch seinen Teil zum Kunstwerk eines Friedensprozesses beitragen.
ÜBER DEN AUTOR
Moritz Ehrmann, MA, geboren am 22.09.1981 in Wien, ist österreichischer Diplomat und konnte als Friedensmediator Erfahrung mit dem Irak, Libyen, dem Sudan, der Ukraine oder dem Jemen sammeln.
Moritz Ehrmann ist Direktor des Austrian Centre for Peace (ACP) und leitet dort außerdem den Bereich Konfliktbearbeitung.