Der Weg in eine europäische Sicherheits- und Verteidigungsunion

Ein tschechischer und ein italienischer Soldat in Bangui. Beide waren Teil des EUFOR RCA Kontingents in der Zentralafrikanische Republik. Pic: EEAS, CC BY-NC-ND 2.0.

Die Europäische Kommission stellte ihre Strategie für eine europäische Sicherheits- und Verteidigungsunion bis 2025 vor. Ein Verteidigungsfond wurde eingerichtet und der Verteidigungsaktionsplan wurde angenommen. Der französische Präsident Emmanuel Macron fordert sogar noch mehr, er strebt einen europäischen Verteidigungsetat an. Welche Konsequenzen können von derartigen Maßnahmen erwartet werden?

Die Europäische Union (EU), mit ihren derzeit noch 28 Mitgliedsstaaten, blickt unsicheren Zeiten entgegen. Mit Sorge werden die weltweiten Konflikte beobachtet, ob im fernen Nordkorea, Myanmar, dem Jemen, dem Südsudan oder auch in der direkten Nachbarschaft, wie in der Türkei oder der Ukraine, um nur einige wenige Beispiele zu nennen. Das Bedürfnis nach Sicherheit wächst. Die bisherigen Ausgaben aller EU Mitgliedsstaaten im Bereich der Rüstungs- und Verteidigungspolitik belaufen sich auf insgesamt 1,34% des BIP, Tendenz steigend. In Zahlen sind das 227 Mrd. €. Die Hohe Vertreterin der EU für Außen- und Sicherheitspolitik, Federica Mogherini, sieht klaren Verbesserungsbedarf bei der effizienten Nutzung dieser Mittel. Aus diesem Grund engagiert sie sich sehr für die Etablierung eines Europäischen Verteidigungsfonds. Bisher verfügen die Mitgliedsstaaten der EU über jeweils eigene, nationale militärische Truppen, kaufen selbständig Rüstung und Materialien an und pflegen militärische Kooperationen mit anderen Mitgliedsstaaten. Diese Handhabung hat zum einen kostspielige militärische Doppelstrukturen und zum anderen eine Vielzahl an unterschiedlichen und zuweilen auch inkompatiblen Systemen zur Folge. Während beispielsweise in den USA 30 verschiedene Waffensysteme eingesetzt werden und ein einziges Panzermodell im Einsatz ist, unterhalten die EU Mitglieder 178 verschiedene Waffensysteme und 17 verschiedene Panzerarten.

Bis 2020 will Federica Mogherini 90 Mio. € in die Forschung von Verteidigung und Waffentechnologie investieren, danach bis zu 500. Mio. € jährlich. Auch Militärprogramme, die als Kooperationen zwischen den Mitgliedsländern zu verstehen sind, sollen zusätzliche Gelder erhalten, bis 2020 ebenfalls rund 500 Mio. € und anschließend 1 Mrd. jährlich. Ab 2020 könnten jährlich bis zu 5,5 Mrd. € in die Verteidigung investiert werden. Das erklärte Ziel bei diesen Investitionen ist die Abschaffung von Doppelstrukturen, Kostenersparnisse und die Erzeugung von Synergieeffekten. Des Weiteren sieht der europäische Verteidigungsfond die Schaffung einer Koordinationsgruppe vor. Diese wird gebildet aus der Hohen Vertreterin der EU für Außen- und Sicherheitspolitik, der EU Kommission, den Mitgliedsstaaten, der Europäischen Verteidigungsagentur und auch Vertreter*innen der Industrie, soweit es angemessen ist.

Doch was würde die geforderte Abschaffung von Doppelstrukturen letzten Endes bedeuten? Konsequent zu Ende gedacht, wäre das Ziel zwar eine gemeinsame europäische Armee ohne eine nationalstaatlich zwischengeschaltete Entscheidungsgewalt. Jedoch weisen weder die Art der Investitionen auf ein derartiges Bestreben hin, noch gibt es eine einheitliche Haltung innerhalb der Mitgliedsstaaten zur EU Armee. Der österreichische Bundesheer-Offizier, Brigadier Walter Feichtinger, schließt eine gemeinsame Armee auch in ferner Zukunft unmissverständlich aus. Die EU Verteidigungsstrategie kann sich in seinen Augen immer nur auf doppelte Strukturen stützen. Eine gemeinsame europäische Armee kann nur Sinn ergeben, wenn die EU komplett neue Strukturen annehmen würde. Ein Beispiel dafür wäre das Konzept der Europäischen Republik, welches von Ulrike Guérot ausführlich ausformuliert wurde.

Die Sehnsucht, als internationaler Akteur wahrgenommen zu werden

Derzeit wirkt die Aufrüstungspolitik der EU weitestgehend deplatziert. Gelder werden für Battlegroups ausgegeben, die nicht zum Einsatz kommen. Die Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik liegt rein nationalstaatlichen Gesichtspunkten zugrunde. Steigende Investitionen tragen somit nur bruchstückhaft zu einer gesamteuropäischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik bei. Mit den geplanten Investitionen gelingt es der EU immer noch nicht, Ressourcen effektiver zu nutzen und Mittel zu bündeln. Es wird lediglich eine weitere Instanz geschaffen, die eine Form der Finanzierung bietet und zur Bürokratisierung beiträgt. Ein Einsparen von Kosten im Bereich der Verteidigung ist damit noch lange nicht zu erreichen.

Die Frage ist eher, unter welchen Voraussetzungen die Mitgliedsländer bereit wären, den jeweiligen Rüstungsetat für gemeinsame Zwecke zu nutzen. Ziel müsste es sein, 227 Mrd.€ effektiver und solidarischer zu nutzen und nicht noch weitere bürokratische Instanzen aufzubauen. Weitaus skandalöser ist allein das Faktum, dass eine ganze Industriebranche als mitentscheidender Teil in der Koordinationsgruppe für den europäischen Verteidigungsfond sitzen dürfen soll. Lobbyismus erhält damit eine ganz neue Dimension, indem Interessensvertretungen der Industrie direkte Entscheidungsgewalt erhalten. Das Hofieren der Rüstungsindustrie wird schließlich damit gerechtfertigt, dass ein gesamteuropäischer Rüstungsmarkt zu mehr Wettbewerb und somit zu Preissenkungen und Investitionen führen würde.

All diese Bemühungen dienen jedoch nicht automatisch dem Zweck der Verteidigung der EU. Mit dieser Strategie möchte sich die EU vor allem als global agierender Akteur präsentieren und etablieren. Hier spielt also die Sehnsucht nach internationaler Anerkennung eine wichtige Rolle. Die EU will stark sein, diplomatischen Einfluss genießen und gehört werden, wenn Themen international diskutiert werden. Die Schaffung gesamteuropäischer militärischer Fähigkeiten wäre somit ein wesentlicher Bestandteil, um als Akteur im internationalen Konflikt- und Krisenmanagement wahrgenommen zu werden und die damit einhergehenden Herausforderungen sinnvoll bewältigen zu können. Was kann daraus abgeleitet werden?

  • Ein standardisiertes Ausbildungsprogramm, sowie diverse Datenbanken für die Erfassung von Truppen bestehen bereits. Nun könnte es sinnvoll sein, diese Normierung ausgiebiger zu nutzen und auf dieser Basis eine Kapazitäts- und Fähigkeitsdatenbank aller Armeen in Europa zu erstellen. Damit könnte die Vorbereitung auf internationale Krisen beschleunigt und effizienter gemacht werden, Missionen wären zielgenau auf die jeweilige Bedrohungssituation vorbereitet.
  • Der EU muss es gelingen, souveräne und fähige Institutionen zu schaffen, die unabhängig von Industrieinteressen entscheiden.
  • Anstatt neue ineffiziente Doppelstrukturen aufzubauen oder weiter zu bedienen, könnte die EU ihre Interessen im Bereich der Sicherheits- und Verteidigungspolitik durch kluge Kooperation mit internationalen Akteuren und Organisationen, sowie der Nutzung internationaler Foren besser durch- und umzusetzen versuchen.
  • Die Forderung nach einem gemeinsamen Rüstungsetat, wie Emmanuel Macron ihn fordert, könnte ein Weg zur weiteren Harmonisierung sein, auch wenn es fraglich bleibt, ob Einigkeit bestehen kann, wie diese Mittel einzusetzen sind. Zu sehen ist dieses Dilemma bei den Battlegroups.

Aufgrund der vielfältigen nationalen Interessen kann die Umsetzung dieser Maßnahmen recht komplex und langwierig sein. Die neu angestoßene Debatte von Emmanuel Macron wird zeigen, wo die europäischen Mitgliedsstaaten Schnittmengen finden werden. In jedem Fall bedarf es Einigkeit im Umgang mit internationalen Partnern und möglichen Missionen außerhalb der EU Grenzen. Bei den zahlreichen Problemen und Unklarheiten stellt sich die Frage, ob den Interessen der EU mit der Institutionalisierung rein ziviler Auslandseinätze nicht weitaus mehr gedient wäre. Diese spielen eine maßgebliche Rolle in der nachhaltigen Friedenssicherung und sollten angesichts der lautstarken Militarisierungsdebatte nicht vernachlässigt werden. Bisher unterhalten die EU Mitgliedsländer ihre eigenen zivilen Friedensdienste. Die grenzüberschreitenden Kooperationen könnten vereinfacht und Strukturen langfristig auf EU-Ebene implementiert werden.

ÜBER DIE AUTORIN

Rebecca Trixa ist Masterstudentin der „Global Studies“ an der Karl-Franzens Universität in Graz. Schwerpunkte:  Europäische Union,  Völkerrecht sowie Friedens- und Konfliktforschung. Erfahrungen als Menschenrechtsbeobachterin auf den Philippinen. Wissenschaftliche Mitarbeiterin des Instituts für Öffentliches Recht und Politikwissenschaft.