
Globale Bildung und Weltbürgertum als Paradigma für Pädagogik und Bildungspolitik
„Ich bin ein Bürger der Welt.“ Diogenes von Sinope
Der Begriff „Globalisierung“ ist seit ungefähr Mitte der 1980er-Jahre ins Bewusstsein der Öffentlichkeit gerückt. Seine Wurzeln liegen vermutlich in den 60er-Jahren des vorangegangenen Jahrhunderts, doch der Philosoph und Kulturkritiker Karl Jaspers erwähnte diesen bereits schon in seinem Buch „Die geistige Situation der Zeit“ im Jahr 1931 und verwendete dafür den Begriff „planetarisch“ (Jaspers, 1931). Im Zuge des öffentlichen Diskurses der 1980er-Jahre tauchten immer mehr Begriffe auf, die mit der Globalisierung in Verbindung stehen, so beispielsweise „Megatrends“ (Naisbitt, 1982), „Risikogesellschaft“ (Beck, 1986) oder „Weltpolitik im Umbruch“ (Czempiel, 1993). Auf diese Weise wurde deutlich, dass sich Globalisierung keineswegs nur auf eine ökonomische Dimension reduzieren lässt, wie dies gemäß der Definition der OECD der Fall ist, sondern dass Globalisierung eine Vielzahl von Dimensionen umfasst. Darunter fallen neben der ökonomischen Dimension auch solche, die von sozialer, politischer, ökonomischer oder ökologischer Wesensart sind. Im Folgenden sollen die Dimensionen „Globalisierung“ und „Kultur“, die sich gewissermaßen in einem Spannungsverhältnis befinden, gegenübergestellt und in dem pädagogischen Konzept der „Global Citizenship Education“ (GCED) als Paradigma für Pädagogik und Bildungspolitik synthetisiert werden.
Die Globalisierung der Kultur
Eine weitere, aber meistens wenig beachtete Dimension von globalen Entgrenzungsprozessen stellt die Globalisierung der Kultur dar. Zu Beginn der 90er-Jahre sprach der US-amerikanische Politologe Francis Fukuyama in seinem gleichnamigen Buch von einem „Ende der Geschichte“ und stützte sich dabei auf die Dialektik von Friedrich Hegel. Demnach wäre durch den Zusammenbruch des Sozialismus und dem damit einhergehenden Ende des Antagonismus zwischen West und Ost dem neoliberalen Kapitalismus zum weltweiten Durchbruch verholfen worden (Fukuyama, 1992). Der Soziologe George Ritzer sprach in diesem Zusammenhang von der sogenannten „McDonaldisierung“ der Weltgesellschaft, wonach sich insbesondere an den Fastfood-Ketten zeige, dass die Weltkultur eine immer homogenere Lebenskultur und Organisationsstruktur nach US-amerikanischem Vorbild annehmen würde (Ritzer, 1993). Zu einem eher negativen Befund kam zur selben Zeit der US-Politologe Samuel P. Huntington, der in seinem gleichnamigen Buch einen „Kampf der Kulturen“ (Huntington, 1996) prophezeite. Demnach hätten sich innerhalb unserer Weltgesellschaft Bruchlinien entlang ethnisch-religiöser Grenzen gebildet, die jederzeit aufbrechen könnten. Dieser pessimistischen Prognose setzte der deutsche Friedensforscher Harald Müller den Begriff „Zusammenleben der Kulturen“ entgegen, wonach Multi- und Transkulturalität sehr wohl möglich seien und unter gegebenen Umständen friedlich verlaufen könnten (Müller, 1998). Einen ebenfalls sehr interessanten Ausblick bietet der südkoreanische Philosoph Byung-Chul Han, der den postmodernen Begriff der „Hyperkulturalität“ (Han, 2005) geprägt hatte und damit die Auflösung von Grenzen und Umzäunungen unterschiedlicher Kulturformen beschreibt, die durch kulturelle Gegensätze entstanden sind und zugleich die Annäherung und Vernetzung der einzelnen Kulturen bedeutet. Daraus entstünden gleichermaßen eine Gleichzeitigkeit und ein Nebeneinander verschiedener Kulturen an verschiedenen Orten. Daran anschließend findet sich in der einschlägigen Lektüre auch der Begriff der „Glokalisierung“, ein Kofferwort, das sich aus den Wörtern „Globalisierung“ und „Lokalisierung“ zusammensetzt. Das Wesensmerkmal des „Glokalen“ ist demnach die Verbindung zwischen der soziologischen, ökonomischen, politischen und kulturellen Dimension der Globalisierung. Kulturell betrachtet sind dank dieser Verbindung die einzelnen Individuen unserer Weltgesellschaft imstande, ihre jeweiligen Identitäten und kulturellen Besonderheiten zu bewahren (Bauman, 1996). In einer etwas plakativeren Gegenüberstellung von „Jihad vs. McWorld“ kam der US-Politologe Benjamin Barber zu dem Schluss, dass die Zivilgesellschaft von zwei Seiten bedroht sei, welche Exklusion statt Inklusion und Anarchie statt demokratisch legitimierter Entscheidungsfindung fördere (Barber, 1995). Der französische Philosoph Edgar Morin und seine Koautorin Anne-Brigitte Kern rufen in ihrem Buch „Heimatland Erde“ zu einem grundlegenden Umdenken der Politik auf. Demnach müsse eine neue Politik der Zivilisation auf zwei essentiellen Achsen beruhen, nämlich auf der Humanisierung der Städte und auf dem Kampf gegen die Entvölkerung der Landgebiete (Morin, 1999). George Tomlinson diagnostiziert bezüglich des Verhältnisses zwischen Kultur und Globalisierung zwei Seiten: Einerseits stellt die Kultur eine Dimension der Globalisierung dar, andererseits wird Globalisierung in den realen Ausprägungen von Kultur manifest. Sinnstiftendes Handeln habe demnach inzwischen globale Konsequenzen und die Beziehung von Kultur und territorialer Verortung löse sich unter den Einflüssen der Globalisierung auf, was Tomlinson als „Deterritorialisierung“ der kulturellen Erfahrung bezeichnet (Tomlinson, 1999).
Global Citizenship Education – Weltbürgertum als Erziehungsauftrag für eine nachhaltige Zukunft
Im Jahr 2012 veranlasste UN-Generalsekretär Ban Ki-Moon die sogenannte „Global Education First Initiative“, worin die Erziehung zum weltbürgerlichen Denken und Handeln an Schulen dargelegt wurde. Der darin vorkommende Begriff „Global Citizenship Education (GCED)“ wird darin als eine Form des Lehrens und Lernens definiert, die Lernende dazu ermutigen soll, sich aktiv an Projekten zu beteiligen, welche sich mit globalen Herausforderungen beschäftigen, die von sozialer, politischer, ökonomischer oder ökologischer Wesensart sind. Eine Kerndimension von Global Citizenship Education ist die Schaffung eines globales Bewusstseins (“global consciousness”), welche die ethische und moralische Dimension repräsentiert. Dabei geht es um die Entwicklung von kritischen und transformativen Perspektiven, um die Erweckung einer globalen Aufmerksamkeit (“worldmindedness”) sowie um ein ganzheitliches (holistisches) Verständnis unserer Welt. Eine weitere Kerndimension stellt die sogenannte globale Kompetenz (“global competence”) dar, welche die technisch-rationale Dimension von GCED repräsentiert. Dabei spielt die Förderung der Sprachkompetenz, die interkulturelle Kompetenz eine wesentliche Rolle. Zu den Unterrichtsprinzipien und Lernkompetenzen zählen das kritisches Lesen, Schreiben und Analysieren globaler Themen und die Kompetenz im Umgang mit neuen digitalen Medien. Ferner ist auch das Verstehen von Zusammenhängen von politischen Entscheidungsprozessen auf lokaler, nationaler, regionaler und globaler Ebene, das vernetzte Denken und der Respekt vor der Vielfalt wichtig. Letztendlich geht es im Unterricht auch um die ethische Verantwortlichkeit sowie das Engagement und die demokratische Partizipation als Weltbürger/innen. Dazu gehören Mitgefühl, Empathie, Zusammenarbeit, Dialog, aktive Beteiligung und Social Entrepreneurship.
Im gegenwärtigen wissenschaftlichen Diskurs existiert eine Vielfalt von Begrifflichkeiten, was unter GCED definitorisch zu verstehen ist. Im Wesentlichen lassen sich die jeweiligen Definitionen in zwei Zugänge einordnen. Der erste Zugang legt den Fokus auf das Individuum, das die menschlichen Qualitäten einer Weltbürgerin/eines Weltbürgers entwickeln soll („individueller Kosmopolitimus“), wohingegen der zweite den Fokus auf die gesellschaftlichen Strukturen legt, die es zu verändert gilt, damit Weltbürgertum überhaupt eine praktikable Option werden kann („struktureller Kosmopolitismus“). Diese beiden Zugänge wurden von Vanessa Andreotti durch die Begrifflichkeiten „Soft vs. Critical Global Citizenship Education“ gegenübergestellt (Andreotti, 2006) und von Werner Wintersteiner und anderen Autoren/innen als individuellhumanitärer versus strukturellpolitischer Zugang zu Global Citizenship Education diskutiert (Wintersteiner et al., 2014). Im Jahr 2015 wurde GCED in die „Sustainable Development Goals“ (SDGs) der Vereinten Nationen integriert, wodurch ein wesentlichster Schritt geleistet wurde, dass GCED zu einem Paradigma für Bildungspolitik und Pädagogik werden konnte. Diesem paradigmatischen Wechsel trug auch die österreichische Bildungspolitik Rechnung, indem seit 2012 ein eigener Universitätslehrgangs GCED mit Masterabschluss an der Alpen-Adria-Universität in Klagenfurt, eine Strategiegruppe Globales Lernen/Global Citizenship Education sowie ein Fachbeirat bei der UNESCO eingerichtet wurde. Auch im neuen Curriculum der PädagogInnenbildung NEU des EVSO (Entwicklungsverbund Südost), der die Bundesländer Kärnten, Steiermark und Burgenland umfasst, findet sich GCED als neues Bildungsziel. Entsprechende Lehrangebote zu GCED sind an österreichischen Hochschulen derzeit noch sehr rar und beschränken sich gegenwärtig auf den gleichnamigen Masterlehrgang in Klagenfurt, auf einzelne Seminare der PädagogInnen-Bildung NEU oder auf Fort- und Weiterbildungsveranstaltungen. Es bleibt daher zu hoffen, dass die inhaltliche und fachdidaktische Implementierung dieses neuen und überaus wichtigen Bildungsziels in absehbarer Zeit weiterhin vertieft und das Lehrveranstaltungsangebot an den österreichischen Hochschulen entsprechend erweitert wird.
DER AUTOR
LITERATUR
- Andreotti, Vanessa (2006). “Soft versus critical Global Citizenship Education”, in: Policy & Practice – A Development Education Review, issue 3, 40–51.
- Barber, Benjamin (1995): Jihad vs. Mc World. New York: Times Books.
- Bauman, Zygmunt (1996). Glokalisierung oder Was für die einen Globalisierung, ist für die anderen Lokalisierung. In: Das Argument, 217: 653-664.
- Beck, Ulrich (1986). Risikogesellschaft. Auf dem Weg in eine andere Moderne., Frankfurt/Main: Suhrkamp.
- Czempiel, Ernst-Otto (1991). Weltpolitik im Umbruch: Das internationale System nach dem Ende des Ost-West-Konflikts. München: Beck’sche Reihe.
- Diogenes Laertius. Leben und Meinungen berühmter Philosophen, VI, 68. o.O., o.J.
- Fukuyama, Francis (1992). The End of History and the Last Man, New York: Free Press.
- Han, Byung-Chul (2005). Hyperkulturalität: Kultur und Globalisierung. Berlin: Merve.
- Huntington, Samuel P. (1996). The Clash of Civilizations and the Remaking of World Order. New York: Simon & Schuster.
- Jaspers, Karl (1931). Die geistige Situation der Zeit. Michigan: Walter de Gruyter & Co.
- Morin, Edgar/Kern, Anne-Brigitte (1999). Heimatland Erde. Versuch einer planetarischen Politik. Wien: Promedia Verlag.
- Müller, Harald (1998). Das Zusammenleben der Kulturen: Ein Gegenentwurf zu Huntington. Frankfurt/Main: Fischer Taschenbuch Verlag.
- Naisbitt, John (1982). Megatrends: Ten New Directions Transforming Our Lives. New York: Warner Books.
- Ritzer, George (1993). The McDonaldization of society: An investigation into the changing character of contemporary social life. Newbury Park, Calif: Pine Forge Press.
- Tomlinson, John (1999): Globalization and Culture. Chicago: University of Chicago Press.
- United Nations Educational, Scientific and Cultural Organization (2012). Global Education First Initiative. Verfügbar unter: http://www.unesco.org/new/en/gefi/home/? [21.02.2018].
- Wintersteiner, Werner/Grobbauer, Heidi/Diendorfer, Gertraud/Reitmair-Juárez, Susanne (2014): Global Citizenship Education: Politische Bildung für die Weltgesellschaft. Wien: UNESCO.
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