Entgegen der Hoffnungen, über marktbasierte Instrumente die Klimakrise lösen zu können, ist nach zwanzig Jahren neoklassischer Umweltökonomie und -politik eine ernüchternde Bilanz zu ziehen. Nicht nur haben derartige Ansätze nichts bewirkt, sondern im Gegenteil zu einer Beschleunigung kapitalistischer Einhegung und Inwertsetzung von Natur beigetragen. Zudem werden die rezenten Maßnahmen zunehmend auf Kosten von Bevölkerungsgruppen des globalen Südens ausgetragen, also zu Ungunsten jener Akteur_innen, die am wenigsten für den Klimawandel verantwortlich sind, aber am stärksten darunter zu leiden haben.
Angesichts der klimatischen Entwicklungen der letzten Jahre drängt sich die Frage auf, was die Menschheit am Wendepunkt ihrer Geschichte zu tun gedenkt, die aufziehende Katastrophe abzuwenden. Dabei muss der Blick zwangsweise auf die bisherigen Ansätze fallen, eine beschämende Abfolge von im Klimakontext wirkungslosen, aber stets als Meilensteine dargestellten Bemühungen (Spash 2016).
Angefangen vom Kyoto-Protokoll 1997, über die beiden Rio-Konferenzen, bis hin zur Conference of the Parties in Paris, all diesen Ereignissen ist gemein, dass sie von einer Rhetorik der Transformation beherrscht werden, in Wirklichkeit aber nicht über ein „more of the same“ hinauskommen. Vielmehr stehen sie im Zeichen einer Logik, die von der Vereinbarkeit des Kampfes gegen den Klimawandel mit kapitalistischem Wachstum ausgeht, mehr noch, im Kontext einer von privaten Interessen getragenen Green Economy Markt und technologischen Fortschritt als große Heilsbringer imaginiert (siehe bspw. OECD 2011). So hat sich in den letzten Jahren eine Auffassung etabliert, die – ohne die bestehenden soziopolitischen Verhältnisse antasten zu wollen – der Entkopplung von Ressourcenverbrauch und Wirtschaftswachstum sowie der Substituierbarkeit von natürlichen Ressourcen die Lösung der Klimakrise zutraut (vgl. UNEP 2011), damit aber erst der Ökonomisierung von sogenanntem „natürlichem Kapital“ Tür und Tor öffnet (Kill 2015). Der vom britischen Umweltökonom Nicholas Stern (2007) stammende Ausspruch, der Klimawandel sei das größte Marktversagen der Menschheitsgeschichte, schlägt in eine solche Kerbe, ebenso wie die Popularität eines neoliberalisierten Nachhaltigkeits-Konzepts erst vor dem Hintergrund eines sich grün ausrichtenden Kapitalismus zu verstehen ist (Tulloch/Neilson 2014). Darüber hinaus reproduziert der rezente neoklassische Diskurs um die Bewältigung der Klimakrise eine kohlenstoff-zentrierte Weltsicht (Moreno et al. 2015), die vom Reduktionismus einer ausschließlichen Konzentration auf Vermeidung, Senkung oder Sequestrierung von CO²-Äquivalenten beherrscht wird. Insofern als die gesellschaftspolitische, vor allem distributiv-konfliktive Dimension in der Problem-/und Lösungsdefinition des Klimawandels verschleiert und dieser universalisiert zu einem techno-ökonomischen Management-Problem stilisiert wird, nimmt die internationale Klimapolitik nicht nur einen post-politischen Charakter an, sondern verkommt zu einem Vehikel der Interessen ökonomisch übermächtiger Akteur_innen.
Marktbasierte Klimapolitik als neokoloniale Intervention
Betrachten wir die im Rahmen der Green Economy zurzeit forcierten klimapolitisch-marktbasierten Instrumente wie Emissionszertifikathandel, Kompensations- und offset-/Clean Development-Mechanismen, so zeigt sich, dass diese als für alle beteiligten Gruppen vorteilhaft dargestellt werden, in der Realität aber nur gewissen Akteur_innen zugutekommen (vgl. Brunnengräber 2009), mehr noch: bestehende Nord-Süd-Gefälle verschärfen. So werden beim (innereuropäischen als auch Annex-1-) Emissionszertifikathandel vermittels cap-and-trade-Verfahren quantifizierte Verschmutzungsrechte gehandelt, also „permits that allow continued emissions of certain amounts of carbon dioxide and other greenhouse gases (GHGs) […] in exchange for climate change mitigation activities elsewhere (Mc Afee 2015: 237). Globale Kompensations-Programme wie REDD+ (Reducing Emissions from Deforestation and Degradation) unterliegen einer vergleichbaren Logik, nämlich dass andernorts (!), vor allem aber im „kostengünstigen“ globalen Süden, Ökosysteme zu Zwecken der Sequestrierung von Treibhausgasen angeeignet werden (Corbera 2012). So wird Klimaschutz in den globalen Süden ausgelagert und dort nicht selten gewaltsam gegen den Willen der Lokalbevölkerung durchgesetzt. Kritiker_innen sprechen in diesem Zusammenhang von „Green Grabbing“ (Fairhead et al. 2012) und „grünem Kolonialismus“ (Heuwieser 2015) und zeigen im Kontext der Diskussionen um Klimagerechtigkeit, wie rurale Gegenden des globalen Südens für die ökologischen Unzulänglichkeiten des globalen Nordens herhalten müssen. Abgesehen davon sind die Outcomes der marktbasierten Instrumente auf Ebene einer reell-absoluten Reduktion von CO²-Äquivalenten selbst umstritten, nämlich insofern als derartige Einsparungen rein hypothetisch erfolgen können. So ist es einem privaten Unternehmen (mithilfe staatlicher Unterstützung) dieser Tage möglich, gewisse (zumeist ohnehin marginalisierte) Gruppen vom Zugang zu Ressourcen und Territorien abzuhalten. Sodann wird unterstellt, dass dadurch eine von ebenjenen Gruppen betriebene Übernutzung bzw. Zerstörung eines Ökosystems mit einer spezifischen CO²-Sequestrierungskapazität verhindert werden konnte und das Unternehmen erhält im Gegenzug Emissionsgutschriften in Höhe der in CO²-Äquivalenten bemessenen „geretteten“ Sequestrierungsleistung – so geschehen im südlichen Madagaskar, wo Air France gemeinsam mit dem WWF ein REDD+-Projekt zur Erhaltung biodiversitätsreicher Waldökosysteme durchführt, dafür die Lokalbevölkerung von ihrem Zugang zu Land abschneidet und damit Emissionen aus dem Flugverkehr kompensiert (EJOLT 2015).
Für radikale Transformationen
Vorliegender Beitrag hat nicht nur eine Kritik am apolitischen Charakter sowie an der Ergebnislosigkeit marktbasierter Instrumente der Klimapolitik geübt, sondern auch auf die brisante Nord-Süd-Dimension hingewiesen, die durch Green Grabbing als Externalisierung mitgierender Maßnahmen in den globalen Süden verschärft wird. So abgehalftert es auch klingen mag, die Klimakrise ist eine tiefgreifend gesellschaftliche und erfordert als solche radikale Ansätze. Dafür braucht es sowohl starke Institutionen als auch den Willen, mit der Wachstumsdoktrin und all ihren noch so grünen Auswüchsen zu brechen.
Empfehlungen
- Abkehr bzw. radikaler Umbau von marktbasierten Instrumenten der Umwelt-/Klimapolitik; Emissionszertifikate deutlich verknappen und dadurch Preis erhöhen; „billige“ Kompensationsmöglichkeiten im globalen Süden unterbinden bzw. diese zumindest auf ihre sozial-ökologische Verträglichkeit vor Ort prüfen
- Strenge Richtlinien zur Verhinderung von „Green Grabbing“, „Land Grabbing“ etc.; Ziel: starke unabhängige Volkswirtschaften im globalen Süden
- Stärkerer Fokus auf ordnungsrechtliche Instrumente; Stichwort: flächendeckende Kerosin-Steuer, CO²-Steuer, Pigou-Steuer, Anpassung der Mineralölsteuer etc.; Großemittenten unter Druck setzen, Rückbau ökologisch schädlicher Industriezweige
- Ausbau und Verschärfung der Ziele des Kyoto-Protokolls – rechtlich bindende Verpflichtungen, keine Lippenbekenntnisse wie die COPs
- Radikale Transformation der gegenwärtigen Subventionslandschaft; keine Subventionen fossiler Energieträger und von Bio-Sprit
- Umbau der kapitalistischen Ökonomien hin zu einer kleinstrukturierten solidarisch-ökologischen Ökonomie; Wachstumszwang brechen; Arbeitszeit verkürzen; radikale Umverteilung durch progressive Reichensteuer etc.
BIBLIOGRAPHIE
- Brunnengräber, Achim (2009): Prima Klima mit dem Markt? Der Handel mit dem Recht, die Luft zu verschmutzen. In: PROKLA. Zeitschrift für kritische Sozialwissenschaft, 39/156, 407-424.
- Corbera, Esteve (2012): Problematizing REDD+ as an experiment in payments for ecosystem services. In: Current Opinion in Environmental Sustainability 4/6, 612-619.
- EJOLT (2015): Holistic Forest Conservation Program by Air France and WWF, Madagascar. Online verfügbar unter: https://ejatlas.org/conflict/air-france-wwf-goodplanet-holistic-conservation-program-madagascar, 06.09.2018.
- Fairhead, James/Leach, Melissa/Scoones, Ian (2012): Green grabbing: a new appropriation of nature? In: Journal of Peasant Studies 39, 237-261.
- Heuwieser, Magdalena (2015): Grüner Kolonialismus in Honduras. Land Grabbing im Namen des Klimaschutzes und die Verteidigung der Commons. Promedia, Wien.
- Kill, Jutta (2015): Ökonomische Bewertung von Natur. Der Preis für Naturschutz? Eine kritische Auseinandersetzung. Rosa Luxemburg Stiftung, Brüssel.
- McAfee, Kathleen (2015): The post- and future politics of green economy and REDD. In: Stephan, B./Lane, R. (Eds.): The Politics of Carbon Markets. Routledge, London/New York, 237-260.
- Moreno, Camila/Speich Chassé, Daniel/Fuhr, Lili (2015): Carbon Metrics. Global abstractions and ecological epistemicide. Publication Series Ecology, Volume 42. Heinrich Böll Stiftung, Berlin.
- OECD (2011): Towards Green Growth. OECD, Paris.
- Spash, Clive L. (2016): The political economy of the Paris Agreement on human induced climate change: a brief guide. In: real-world economics review 75, 67-75.
- Stern, Nicholas (2007): The Economics of Climate Change. The Stern Review. Cambridge University Press, Cambridge.
- Tulloch, Lynley/Neilson, David (2014): The Neoliberalisation of Sustainability. In: Citizenship, Social and Economics Education 13/1, 26-38.
- UNEP (2011): Towards a green economy: pathways to sustainable development and poverty eradication. United Nations Environment Programme, Nairobi.
ÜBER DEN AUTOR
Martin Thalhammer, BA BSc., arbeitet als Studienassistent und Tutor an der Universität Wien und studiert Kultur- und Sozialanthropologie, Internationale Entwicklung und Sozial- und Humanökologie. Zudem hat er einen Abschluss in Umwelt- und Bioressourcenmanagement an der Universität für Bodenkultur in Wien und forscht zurzeit im Rahmen seiner Master-Arbeit zur politischen Ökologie des oberösterreichischen Hochwasserschutz.
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