Der Sudan vor einer schwierigen Transformation

Bashir bei einem Empfang im Wolkenbruch, im Regen stehend quasi
picture: Jan Pospisil

Seit Anfang Dezember 2018 kommt es im Sudan zu regelmäßigen Protesten gegen das islamistische Regime der National Congress Party (NCP) unter Führung des vom Internationalen Strafgerichtshof (IStGh) angeklagten Präsidenten Omer Al-Bashir.

Das Al-Bashir-Regime ist seit 30 Jahren an der Macht, eine Mehrzahl der Sudanes*innen hat keinen anderen Präsidenten als Al-Bashir erlebt. Derzeit scheint das Bashir-Regime allerdings am Ende seiner zähen Herrschaftsperiode angelangt, auch wenn die Protestbewegung noch keine konkreten Perspektiven für einen Transitionsprozess entwickeln konnte.

 

Im Gegensatz zu seinem internationalen Ruf als dogmatischer Hardliner hat das Regime im Zuge seiner Herrschaft bemerkenswerte Flexibilität bewiesen: politische Koalitionen wurden pragmatisch geschmiedet und ebenso pragmatisch wieder aufgelöst, regional, national wie international. Blutige Bürgerkriege, insbesondere in der westsudanesischen Region Darfur, wurden begonnen, verstrickten sich im komplexen Dickicht lokaler Machtverhältnisse und wurden schließlich wieder zurückgefahren, ohne dass es zu nachhaltigen Friedensprozessen gekommen wäre. Nachhaltig erschüttern konnte dies das Bashir-Regime nie.

Im Gewaltkonflikt im Süden des Landes akzeptierte das Regime letztendlich sogar die Sezession des Südsudan, ein in seiner Dimension – es handelt sich neben der Abspaltung Eritreas von Äthiopien um eine von nur zwei staatlichen Sezessionen in Afrika nach Ende der Kolonialherrschaft – kaum zu überschätzender Schritt. In den letzten Jahren gelang es der NCP, die Bewegung des so genannten Arabischen Frühlings pragmatisch zu umschiffen und sich zuletzt selbst als regionaler Friedensvermittler zu positionieren, etwa gegenüber dem Ende 2012 ausgebrochenen Bürgerkrieg im Südsudan.

Bei allem Pragmatismus ist das NCP-Regime jedoch durch zwei Konstanten gekennzeichnet: einerseits wurde eine willkürliche und korrupte Unterdrückung weiter Teile der Bevölkerung in den unterschiedlichen Teilen des Landes etabliert. Dabei wird auf eine rigide islamistische Ideologie zurückgegriffen, die erst seit den späten 1970er Jahren von Protagonisten wie Al-Bashir und dem vor einigen Jahren verstorbenen Hassan Al-Turabi mit der von ihm geführten Nationalen Islamischen Front in den Sudan importiert wurde.

Andererseits kann das Regime der vorherrschenden wirtschaftlichen Krise und Perspektivenlosigkeit nichts entgegensetzen. Ursprünglich durch die Kosten der Bürgerkriege und internationaler Sanktionen bedingt, ist die im Land grassierende hohe Inflation mittlerweile Ausdruck von limitiertem Deviseneinkommen (die durch die Abspaltung vom Süden stark geschrumpften Öleinkommen konnten nur marginal durch Gold ersetzt werden) und Korruption. Die nach wie vor sehr guten sudanesischen Universitäten produzieren Legionen gut ausgebildeter Arbeitsloser. Die traditionell lebendige und innovative sudanesische Wirtschaft ist nach Jahrzehnten der Isolation an den Grenzen ihrer Überlebensfähigkeit.

Die im Dezember ausgebrochenen Proteste waren zunächst wirtschaftlicher Natur. Sie fanden jedoch rasch Verbreitung, bedingt nicht zuletzt durch die Unterstützung von Wirtschaftskreisen, der Sudanese Professionals Association, und einem – für sudanesische Verhältnisse – einheitlichen Auftreten der zersplitterten politischen Opposition. Seit vier Monaten werden jeden Dienstag und Donnerstag Straßenproteste in allen Teilen des Landes organisiert. Im Unterschied zu vorangegangenen Protesten gelang es der Bewegung, sich über die Hauptstadt Khartum hinaus zu verankern.

Diese Verbreitung ist die Ursache für die zunehmende Nervosität des NCP-Regimes. Al-Bashir negierte die Proteste zuerst wochenlang und fokussierte auf die Aufrechterhaltung bestehender regionaler Allianzen, die durch den Jemen-Krieg zuletzt unter Druck geraten waren. Bald schlug das Verhalten in Panik um. Die Sicherheitskräfte reagierten harsch, es kam zu Verhaftungswellen. Schließlich entschloss sich Al-Bashir zur weitestgehenden Ausschaltung der politischen Machtbalance und zur Einrichtung eines Militärregimes mit den letzten Getreuen. Schlüsselpositionen wurden mit notorischen Hardlinern besetzt, so wurde Ahmed Haroun, ebenfalls vom IStGh wegen in Darfur begangener Kriegsverbrechen gesucht, zum Parteisekretär der NCP ernannt. Moderate Kräfte wurden aus der Regierung entlassen.

Schnell wurde allerdings sichtbar, wie eng die Grenzen von Al-Bashirs Macht mittlerweile gezogen sind. Das sudanesische Parlament reduzierte nach drei Wochen den verhängten Ausnahmezustand von einem auf ein halbes Jahr, und interner politischer Druck zwang Al-Bashir nach nur wenigen Tagen, von der eingesetzten Militärregierung Abstand zu nehmen und ein ziviles Kabinett zu ernennen. Die Höchststrafen für Verstöße gegen den Ausnahmezustand wurden von zehn Jahren auf sechs Monate beschränkt.

Dennoch verhindert eine unheilvolle Interessenskoalition einen weitergehenden Wandel. Al-Bashir wird von den Machtpolen in der NCP als Figur des politischen Ausgleichs gesehen und als solche strategisch eingesetzt. Er repräsentiert einen internen Kompromiss, den eine relevante Zahl internationaler Akteure und sogar Teile der sudanesischen Opposition hinter vorgehaltener Hand akzeptieren können, um ein potenziell gewaltsames politisches Chaos zu verhindern. Zugleich hat Al-Bashir selbst ein massives Eigeninteresse an der Aufrechterhaltung des Status Quo: nur so kann die Perspektive einer Auslieferung an Den Haag, einer möglichen Verurteilung durch den IStGh und ein Lebensabend hinter Gittern verlässlich hintangehalten werden.

Sudans gegenwärtige politische Lage ist denn auch verfahren. Die Forderung nach einem Ende des NCP-Regimes, insbesondere eine Ablöse von Al-Bashir, muss unmittelbar die Frage nach einem Danach stellen. Die Opposition sucht nach gangbaren Übergangslösungen. Jedoch hat sich bislang keine klare Führungsfigur herauskristallisiert, was kurzfristig schwierig ist, langfristig aber kein Nachteil sein muss. Eine gewaltsame Ablöse des Regimes ist unwahrscheinlich und, angesichts der möglichen Folgen, nicht wünschenswert.

Es braucht daher Angebote gegenüber der NCP für eine Abkehr von ihrem diktatorischen Regime. Teile der sudanesischen Opposition werben derzeit um internationale Unterstützung für den Vorschlag, Al-Bashir Asyl in einem vor der Auslieferung an den IStGh sicheren Drittland anzubieten. Wenngleich für Dogmatiker des internationalen Strafrechts schwierig zu akzeptieren, könnte dies den Abgang des derzeitigen Regimes erleichtern. Ein solcher Abgang wäre ohnehin nicht mehr als der Auftakt zu einer langen und komplexen politischen Transformation, die dem Sudan früher oder später jedenfalls bevorsteht.

Die gesamte Bandbreite der sudanesischen Opposition hatte für den 6. April, dem Jahrestag des Sturzes des Militärregimes von Gaafar Nimeiry im Jahr 1985, mit dem eine kurze demokratische Blüte eingeleitet wurde, zu einem globalen Aktionstag gegen das Regime und für einen demokratischen Sudan aufgerufen. Das Regime reagierte erneut mit Gewalt, die aber zunehmend als ein Zeichen der Schwäche zu deuten ist: aktuelle Berichte deuten auf Auseinandersetzungen zwischen dem Sicherheitsapparat des Regimes und der sudanesischen Armee hin, wobei letztere weitergehende Übergriffe auf Demonstrierende verhindert haben soll. Einzelne Einheiten der Armee scheinen sich sogar den Protesten angeschlossen zu haben. Die Entwicklung einer konkreten Perspektive für die letztlich nicht vermeidbare Ablöse des NCP-Regimes steht unmittelbar auf der Tagesordnung.

 

DER AUTOR

Jan Pospisil ist Forschungsdirektor am Austrian Study Centre for Peace and Conflict Resolution (ASPR) in Schlaining. Seine Arbeitsschwerpunkte sind Friedensprozesse, Resilienz und internationale Interventionen in Gewaltkonflikte.