Corona und die Krise der Geschlechter

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Die Maßnahmen zur Überwindung der Pandemie machen sichtbar, dass systemrelevante Arbeit prekär und schlecht bezahlt ist und meistens von Frauen* ausgeübt wird. Aktuelle Diskurse deuten hingegen auf einen Trendwandel zu einer gesellschaftlichen Aufwertung der Versorgungökonomie. Ein Blick in vergangene Krisen und deren politische Stabilisierungsmaßnahmen zeigen jedoch, dass systemrelevante Bereiche nach Krisen eher abgebaut wurden und somit genderspezifische soziale Ungleichheit verstärkt wurde. Der folgende Artikel diskutiert drei zentrale Aspekte, die bei der Entwicklung nachhaltiger politischer und ökonomischer Strategien zentral sein müssen. 

 

Das Ende sozialer Ungleichheit?

Die Corona-Krise macht sichtbar, was feministische Ökonom*innen und Sozialwissenschaftler*innen seit Jahrzehnten betonen: Systemerhaltende Arbeit ist meist prekär, schlecht bezahlt und wird vor allem von Frauen* ausgeübt. Forderungen, diese Arbeit besser abzusichern und zu entlohnen, fanden bisher nur in geringem Ausmaß Beachtung. Ein Blick in die Sozialen Netzwerke und Medien lässt nun einen Trendwandel erhoffen: Applaus für das Pflegepersonal, Bewunderung für Lehrer*innen auf Instagram, Schokolade für die Supermarktkassierererin.

Vereinzelte Wissenschaftler*innen prognostizieren bereits jetzt einen gesellschaftlichen Umbruch nach der Krise, der uns zu mehr sozialer Gerechtigkeit führen könnte. So argumentiert beispielsweise der Ökonom Stephan Schulmeister im Interview mit Moment, dass wir aus dem erwarteten Pflegenotstand, der sich in den kommenden Wochen oder Monaten ereignen kann, den Wert dieser Arbeitskräfte erkennen werden.

Trotz der Euphorie lehrt uns jedoch die Geschichte vergangener Krisen und deren politische Stabilisierungsmaßnahmen (Wirtschaftskrise 2008, Ebola-Krise 2014 und Zika-Krise 2015 usw.), dass das Gegenteil der Fall ist und vorherrschende genderspezifische Ungleichheitsverhältnisse wie weibliche Armut, prekäre und unterbezahlte Sorgearbeit sowie häusliche Gewalt meist verstärkt werden. Auch im Zuge der Corona-Krise droht dies einzutreffen, sofern nicht alle politischen und ökonomischen Initiativen von Anfang an genderspezifische Ungleichheit miteinbeziehen.

Frauen* erhalten das System  

In systemrelevanten Bereichen, also dem Gesundheitssystem, dem Betreuungs- und Bildungssystem sowie der Lebensmittelversorgung gibt es einen äußerst hohen Anteil von Frauen*, wobei es hier eine vertikale Segregation gibt: Je besser entlohnt eine Position innerhalb einer Branche ist (z.B. Ärzt*innen im Gesundheitswesen), desto höher ist der Anteil von Männern*.

Eine Untersuchung der WHO in 104 Ländern ergab, dass der Frauen*anteil in der „Health Workforce“ bei 70% liegt, Männer* dennoch in diesem Sektor durchschnittlich um 28% mehr verdienen.[1] In der jetzigen Krise kommt hinzu: Da das Pflegepersonal intensiven Kontakt mit Patient*innen hat, ist nun diese Gruppe am stärksten gefährdet, sich mit dem Virus anzustecken.

Die Pandemie macht nun diese gesellschaftlichen Strukturen und sozialen Ungleichheitsverhältnisse, die es schon zuvor gab, sichtbarer und zum ersten Mal für viele Menschen auch spürbar. Anfang dieses Jahres stellten Pflegekräfte im Rahmen der Kollektivverhandlungen für Beschäftigte der Sozialwirtschaft in Österreich (SWÖ) eine einzige Forderung zur Verbesserung ihrer Arbeitsbedingungen: eine 35-Stunden-Woche. Die mühsamen Verhandlungen wurden nun abgeschlossen, ohne dass es zu einer merklichen Entlastung für die Arbeitnehmer*innen kam.[2]

Männer* arbeiten weniger

Der Equal Pay Day verweist jedes Jahr darauf, dass Männer* für dieselbe Arbeit mehr Geld als ihre Kolleginnen erhalten. In Österreich fiel dieser Tag heuer auf den 25.  Februar 2020, bis dahin arbeiteten Frauen* sozusagen gratis. Zur verhältnismäßigen besseren Bezahlung von Männern* kommt hinzu, dass sie weniger unbezahlte Sorgearbeit als Frauen* in privaten Haushalten machen. Weltweit entspricht das täglich 12,5 Milliarden Stunden unbezahlter Pflege-, Fürsorge- und Hausarbeit, wie eine Untersuchung von Oxfam zur Lage genderspezifischer sozialer Ungleichheit ergab.

Die derzeitige Situation bringt zusätzlich eine Mehrbelastung besonders für Frauen*. In Haushalten mit traditionellen Geschlechterrollen kümmern sie sich nun neben der Lohnarbeit auch um die Versorgung der Familie, den Unterricht der Kinder usw. Darüber hinaus sind Frauen* und Kinder in gewaltgeprägten Haushalten nun auch einem erhöhten Risiko ausgesetzt. Insofern Stabilisierungsmaßnahmen nicht gezielt zur Lösung dieser Probleme entwickelt werden, droht sich dieses Ungleichgewicht durch die Krise zu verstärken.

So wurden beispielsweise im Zuge der Konjunkturmaßnahmen der Wirtschaftskrise 2008 vornehmlich Männer*berufe z.B. im Industrie- und Bauwesen gesichert, während Maßnahmen im Pflege- und Betreuungsbereich fehlten, wodurch aufgrund der hohen Arbeitslosigkeit und der Sparmaßnahmen im Bereich Versorgungsökonomie überproportional mehr Frauen* in prekäre Beschäftigungsverhältnisse oder unbezahlte Betreuungs- und Pflegearbeit gedrängt wurden (Michalitsch 2010).

Vermögen ist männlich

Männer* verfügen weltweit über 50% mehr Vermögen als Frauen*. Zusätzlich sind Frauen* in der Pension stark von Armut betroffen. So sind 65% aller Menschen weltweit, die keine Pension bekommen, Frauen*. Auch in Österreich bekommen Männer* mehr Pension, nämlich durchschnittlich 1639 EUR, Frauen* hingegen nur 918 EUR. Dieser Zustand ist insbesondere auf die zunächst geschlechtsneutral erscheinende Pensionsreform 2003 zurückzuführen. Seitdem werden zur Bemessung der Pension nicht mehr die Beitragszeiten der 15 Jahre mit dem höchsten Einkommen, sondern alle Erwerbsjahre hinzugezählt. Aufgrund prekärer Beschäftigungsverhältnisse, Karenz- und Betreuungszeiten traf Frauen* diese Regelung überproportional härter.

Im Zuge der Wirtschaftskrise 2008 und der darauf folgenden Austeritätspolitik wurde diese Situation weiter verstärkt. Während der Banken- und Finanzsektor stabilisiert wurde, kam es gleichzeitig zu massiven Kürzungen im Bildungs-, Gesundheit- und Sozialdienstleistungssektor. Dieser Trend ist vor allem in den „geretteten“ Ländern wie Irland, Griechenland, Portugal und Zypern zu sehen. Das Ausmaß dieses Schadens und der Mangel an Personal, Material und Infrastruktur im Gesundheitswesen wird vermutlich erst im weiteren Verlauf der Corona-Krise sichtbar werden.

Fazit und Policy-Vorschläge

Ein Blick auf vergangene Stabilisierungsmaßnahmen zur Überwindung von Krisen verdeutlicht, dass es geschlechtssensible politische und ökonomische Strategien benötigt, um systemrelevante Bereiche zu sichern und genderspezifische soziale Ungleichheit zu reduzieren. Geschlechtergerechtigkeit ist keine „Luxuspolitik“, die hinten angestellt werden kann, sondern muss Teil politischer, ökonomischer und sozialer Lösungsstrategien sein. Studien zur Ebola-Krise 2014 und Zika-Krise 2015 zeigen, obwohl Frauen* zentral in der Überwindung dieser Gesundheitskrisen sind, werden sie nicht bei der Entwicklung politischer Maßnahmen dagegen miteinbezogen. Aus den vorangegangenen Ausführungen lassen sich somit erste politische Ansätze zur nachhaltigen Stabilisierung der Versorgungsökonomie ableiten:

  1. Jobs im Niedriglohnsektor der Versorgungsökonomie müssen abgesichert, gesellschaftlich aufgewertet und besser entlohnt werden. Eine Anhebung des Mindestlohnes und eine echte Reduktion der Arbeitszeit im Pflegebereich ist hier ein erster Anfang.
  2. Die sich aus der Pandemie ergebende Wirtschaftskrise kann nur nachhaltig überwunden werden, wenn die genderspezifischen Vermögensunterschiede abgebaut werden. Eine Pensionsreform zur Änderung der Beitragszeiten bei gleichzeitiger Einführung bzw. Erhöhung von Finanzkapital- und Erbschaftssteuern sind hierbei zielführend.
  3. Maßnahmen zur Budgetsanierung nach der Krise dürfen nicht auf Kosten der gesellschaftlichen Versorgung gehen. Der Gesundheitsbereich sowie der Betreuungs- und Bildungsbereich müssen längerfristig stabilisiert und gesichert werden und dürfen nicht auf private Haushalte und somit auf un- oder schlechtbezahlte weibliche Arbeitskräfte ausgelagert werden.

 

[1] Wenn diese Zahlen bereinigt werden (durch Berücksichtigung horizontaler Segregation und Ausgleich der Arbeitsstunden etc.) bleibt noch immer ein Gehaltsunterschied von 11% (Boniol et al 2019).

[2] Zuzüglich der Abgeltung der Inflationsrate erhöhen sich die Einkommen ab 2021 um nur 0,6 Prozent, Zuschläge und Zulagen steigen um 2,7%. Ab 2022 wird die wöchentliche Arbeitszeit lediglich von 38 auf 37 Stunden reduziert (Kainrath 2020).

 

DIE AUTORIN

Johanna Taufner ist Politikwissenschaftlerin und Soziologin. Sie arbeitet als wissenschaftliche Mitarbeiterin am Demokratiezentrum Wien und ist Sprecherin der Sektion Politikdidaktik der Österreichischen Gesellschaft für Politikwissenschaft (ÖGPW).