
Partizipation der Zivilgesellschaft als unverzichtbares Instrument im Ausnahmezustand
Demokratische Regierungen müssen in Krisenzeiten intensiv den Dialog mit der Zivilgesellschaft suchen, um nicht an Legitimität zu verlieren. Dabei gilt es, bereits vorhandene Strukturen in der Einbindung von Interessengruppen unbedingt zu nutzen und auszubauen, um gestärkt aus einer aktuellen Krise hervorzugehen und auf künftige Ausnahmezustände vorbereitet zu sein. Gerade angesichts problematischer Einschränkungen von Grundrechten über einen längeren Zeitraum und deren ungleiche Auswirkungen auf unterschiedliche Zielgruppen muss die demokratische Kultur und somit die Dimension des Politischen durch zivilgesellschaftliche Partizipationsformen und durch die Konsultation von Betroffenen gesichert werden.
Was geschieht mit demokratischer Partizipation in Krisenzeiten, d.h. in Zeiten eines bevorstehenden oder bereits eingetretenen Zustandes der Bedrohung von Leben und Gesundheit breiter Bevölkerungsteile – insbesondere wenn dieser mit umfassenden Maßnahmen und Einschränkungen einhergeht?
Einschränkung von Grundrechten
Am 15. März 2020 wurde vom österreichischen Parlament das zeitlich begrenzte Covid-19-Maßnahmengesetz verabschiedet. Darin wurde das Betreten öffentlicher Orte zur Verhinderung der Verbreitung des SARS-CoV-2 reguliert. Die rasch erlassenen Maßnahmen stellen einen wichtigen Beitrag zur Bewältigung der Situation dar und sollen im außerordentlichen Umstand dieser Pandemie die Gesundheitsversorgung sicherstellen. Sie sind durch den verfassungsrechtlichen Rahmen geregelt. Aus demokratiepolitischer Sicht ist es jedoch wichtig, neben funktionalen Aspekten auch die konkreten Auswirkungen von Notstandsregelungen auf die demokratische Gesellschaft in den Blick zu nehmen und in einem partizipatorischen Prozess mit der Zivilgesellschaft und Betroffenen zu hinterfragen.
Mit dem 13. April 2020 tritt die derzeitige Verordnung aufgrund des Covid-19-Maßnahmengesetzes außer Kraft – die Krise wird zu diesem Zeitpunkt jedoch nicht überwunden sein. Der Ausnahmezustand geht somit in eine neue Runde – eine Chance für die politischen Entscheidungsträger*innen in Österreich, das aktuelle Maßnahmengesetz zu evaluieren. Die in der Verfassung verankerte zeitliche Begrenzung von Gesetzen, die die Bürger*innen in ihren Grundrechten einschränken, stellt eine Möglichkeit dar, Probleme in der Anwendung des Gesetzes zu beheben, wie z.B. dem Konflikt zwischen Ausgangsbeschränkungen und Gewaltschutzansprüchen im häuslichen Bereich.
Es ist aber auch ein wichtiger Moment, Bedenken, die von Expert*innen aus unterschiedlichen Fachdisziplinen und Interessenvertretungen bereits ausführlich dargelegt wurden, Rechnung zu tragen und entsprechende Klauseln einzuführen, um z.B. eine Verwendung von “Big Data” und personenbezogenen Daten im Kampf gegen Covid-19 im Falle einer Grundrechtsverletzung verhindern zu können.
Ausbau partizipativer Strukturen
Auf der Ebene anwendungsorientierter Maßnahmen wird die Konsultation der Betroffenen bzw. Interessenvertretungen notwendig – gerade im Hinblick auf eine länger andauernde Krise sowie in Anbetracht der massiven Auswirkungen der Klimakrise in den nächsten Jahrzehnten.
Eine starke Zivilgesellschaft schafft in einer Demokratie die notwendigen Strukturen, um auch in Zeiten der Krise partizipatorische Prozesse zu ermöglichen. Demokratie ist nicht nur Regierungs-, sondern auch Gesellschafts- und Lebensform und stellt damit die Grundlage des gesellschaftlichen Zusammenlebens dar. Aus der tiefgreifenden Auswirkung von Krisen auf diese Lebensform und die materiellen Bedingungen der Existenz ergibt sich die Frage, ob Notstandsgesetze allein durch ihre Verfassungsmäßigkeit ausreichend gesellschaftlich verankert sind. Angesichts der Entwicklung des Klimawandels und der durch ihn zu erwartenden Krisen wird die klassische Unterscheidung zwischen Ausnahme- und Normalzustand der Wirklichkeit nicht mehr gerecht. Daraus muss nun nicht, wie häufig kritisiert wird, eine Auf-Dauer-Stellung des Ausnahmezustandes als technokratisch-administrativer Vorherrschaft abgeleitet werden. Sehr wohl aber erwächst demokratischen Gesellschaften die Aufgabe, die Formen demokratischer Teilhabe auszubauen. So müssen Erfahrungswerte aus der Zivilgesellschaft und Wissensstände aus den jeweils relevanten Fachdisziplinen mit in Entscheidungen einbezogen werden, um einer Argumentation der Alternativlosigkeit von Maßnahmen entgegenzuhalten.
Es ist eine gesellschaftliche Aufgabe, die Dimension des Politischen in der Krise aufrecht zu erhalten und aus ihr zu lernen, nur so können demokratische Gesellschaften gestärkt aus dieser aktuellen Herausforderung hervorgehen. In diesem Sinne lässt sich auch im Hinblick auf zukünftige Krisen die Forderung nach Partizipation erheben. Denn Demokratie kann und muss Krise lernen.
Handlungsempfehlungen
Während länger andauernder Krisen sollten die Auswirkung von Maßnahmen auf betroffene Bevölkerungsteile immer wieder durch Feedbackschleifen in einem zyklischen und rechtsverbindlichen Prozess evaluiert werden und die Maßnahmen dementsprechend angepasst werden.
Für den geforderten Feedbackprozess kommen vier Ebenen der Konsultation zum Tragen:
- Konsultation von Fachwissenschaften: Bei der Verabschiedung von politischen Maßnahmen, die das gesellschaftliche Leben umfassend beeinflussen, müssen Wissens- und Forschungsstände aus sozialwissenschaftlichen Fachdisziplinen mit in die Entscheidung einbezogen werden.
- Konsultation von Interessengruppen und Sozialpartner*innen: Die Zusammenarbeit mit den Sozialpartner*innen sollte in Krisenzeiten intensiviert und die Einbeziehung unterrepräsentierter bzw. marginalisierter Interessengruppen ausgebaut und verstärkt werden.
- Konsultation von Bürger*innen: Betroffenen Einzelpersonen muss über demokratiepolitische Kanäle die Option der Meinungsäußerung und Einwirkung auf die Gestaltung von Maßnahmen gegeben werden. Dies kann beispielsweise über den Postweg bzw. digitale Crowd-Sourcing-Tools ermöglicht werden. Wichtig ist bei der technischen Umsetzung die Bereitstellung von inklusiven Formaten der demokratischen Partizipation für alle Bürger*innen.
- Es müssen jetzt verlässliche rechtliche Rahmenbedingungen für die Partizipation im Notstand geschaffen werden, um beispielsweise Bürger*innenparlamente und Feedbackschleifen in der Gesetzgebung gesamtgesellschaftlich zu verankern.
Demokratie existiert durch Partizipation, die derzeitigen Strukturen sind jedoch nicht darauf ausgelegt, auf neue Umstände rasch und umfassend in einer partizipatorischen Weise zu reagieren. Hier besteht Handlungsbedarf.
DIE AUTORINNEN
Sarah Straub ist Politikwissenschaftlerin und wissenschaftliche Mitarbeiterin am Demokratiezentrum Wien sowie im Arbeitsbereich Didaktik der Politischen Bildung an der Universität Wien.
Susanne Unah ist Philosophin in Wien mit bildungswissenschaftlichem Fokus und langjähriger Erfahrung im psychosozialen Bereich.
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