Nicht erst #metoo bewies, dass sexualisierte Gewalt in allen Gesellschaften und allen Schichten weit verbreitet ist. Sind die Täter Migranten, treten rechte und rechtsextreme Akteure mit großem Verve als „Frauenschützer“ auf. Der scheinbare Widerspruch zum rechten Antifeminismus lässt sich erklären, wenn die dabei transportierten Männlichkeitskonstruktionen in den Blick genommen werden.
Martin Sellner, der bekannteste „identitäre“ Rechtsextremist Österreichs, handelte sich im Mai 2022 eine Klage des oberösterreichischen Landeshauptmanns Thomas Stelzer ein. Sellner hatte Stelzer vorgeworfen, eine 15-jährige Ukrainerin „mitvergewaltigt“ zu haben, weil er den mutmaßlichen Täter – ein junger syrischer Asylwerber – „ins Land gelassen“, dieses „überfremdet“ und „den Bevölkerungsaustausch organisiert“ habe. Weniger persönlich angriffig, jedoch demselben Narrativ verpflichtet, zeigten sich viele liberale Medien nach den Übergriffen auf feiernde Frauen* am Silvesterabend 2015/2016 in Köln. Der Focus zeigte am Cover einen nackten weißen Frauenkörper, „beschmutzt“ von schwarzen Handabdrücken, der Wiener Falter einen Cartoon, in dem dunkelhäutige Männer weinende blonde Frauen bedrängen – immerhin gab es dafür eine Rüge des Presserats. Beide Beispiele (viele weitere ließen sich anführen) zeigen zwei typische Aspekte der rassistischen Moralpanik, die sie von seriösen Auseinandersetzungen mit sexualisierter Gewalt unterscheiden: Zum einen kommen die betroffenen Frauen* nicht nur nicht zu Wort, sondern auch in der Darstellung ausschließlich als (handlungsunfähige) Opfer vor, zum anderen werden auch die Täter entindividualisiert und auf eine einzige Eigenschaft – ihre ethnische und religiöse Zugehörigkeit bzw. Migrationsgeschichte – festgelegt. Diese „Ethnisierung von Sexismus“ führt zu einem paradoxen Effekt: Je schriller und bildgewaltiger die medialen Darstellungen, je lauter die Verurteilung der „anderen“ Kultur und je rabiater die migrationspolitischen „Lösungen“, desto weniger Auseinandersetzung mit sexualisierter Gewalt und ihren Ursachen in hierarchischen Geschlechterverhältnissen sowie spezifischen Männlichkeitskonstruktionen findet tatsächlich statt.
Ethnosexismus und der Schutz „unserer Frauen“
Die deutsche Genderforscherin Gabriele Dietze kreierte das Konzept „Ethnosexismus“. Sie bezeichnet damit eine Form von Sexismus, dem Rassismus zugrunde liegt und der sich gegen Frauen* ebenso richtet, wie gegen marginalisierte Männer, denen eine besondere problematische Sexualität oder Sexualordnung unterstellt wird. Die Figur der bedrohten (weißen) Frau spielte dabei eine zentrale Rolle für die Legitimation rassistischer Gewalt und Entmenschlichung, die sich in ihrer deutlichsten Form in den Lynch-Morden an Schwarzen in den USA zeigte, aber auch andere Formen des europäischen Rassismus und Antisemitismus durchzieht. Ihr heutiges Pendant findet diese rassistische Gewalt im Generalverdacht gegen Migranten aus dem arabischen Raum und Afghanistan und in den Forderungen nach vollständiger Schließung der europäischen Grenzen sowie einer weiteren Aushebelung des Asylrechts. Anstatt über den Schutz von Frauen* vor Gewalt wird dann über Migrations-, Asyl- und repressive Kontrollpolitik im öffentlichen Raum diskutiert. Über Maßnahmen also, die nicht nur nicht geeignet sind, Übergriffe zu verhindern, sondern auch die prekäre Situation von Migrantinnen und geflüchteten Frauen* weiter verschlechtern.
Während die meisten Feministinnen an diesem Rassismus heftige Kritik üben, haben sich einige – als bekannteste Vertreterin im deutschsprachigen Raum ist sicher Alice Schwarzer zu nennen – der rassistisch-nationalistischen Kampagne angeschlossen und hetzen gegen alles, was tatsächlich oder vermeintlich mit dem Islam zu tun hat. Das ist umso bemerkenswerter, als sie dabei den „Sexismus“ im „Ethnosexismus“ geflissentlich übersehen. Denn die rechten und rechtsextremen Kampagnen zum Schutz „unserer Frauen“ sind auch ein direkter Angriff auf die Infragestellung von Geschlechterklischees und zwanghafter Zweigeschlechtlichkeit. Das vermutlich skurrilste Beispiel lieferte ein Video des Grazer FPÖ-Gemeinderats Armin Sippel, in dem er 2016 an einer Schaufensterpuppe handgreiflich vorführte, was die „Herren Asylanten“ zu unterlassen hätten – um schließlich mit einem launigen „Finger weg von unseren Frauen!!!“ zu enden. Das besitzanzeigende Fürwort „unsere“ lässt hier die Alarmglocken schrillen, umso mehr, wenn es von einer Partei kommt, deren Vertreter*innen in Frauenhäusern Mittel zur Zerstörung von Ehen sahen und im Fall bekannt gewordener Übergriffe Verharmlosung und Täter-Opfer-Umkehr betrieben. Auch im aktuellen Parteiprogramm ist Gewalt gegen Frauen* schlicht kein Thema. Nach Trennungen habe aber jedenfalls „die Weiterführung der gemeinsamen Verantwortung für das Kind im Vordergrund [zu] stehen“, und nicht etwa das Wohl des Kindes, geschweige denn die physische und psychische Unversehrtheit der Mutter.
Antifeminismus und Männlichkeit
Dieser Fokus auf nicht-österreichische Täter lässt sich als ethnosexistische Konstellation deuten, in der stets Dreiecksbeziehungen verhandelt werden. „In der Hetero-Variante sind das der gefährliche Fremde (Schwarze, Jude, Muslim), die gefährdete (weiße) Frau und eine Schutzmacht. Diese Position wird fast immer von weißen Männern besetzt“. Für diese weißen Männer bietet die Gefährdung „ihrer“ Frauen daher v.a. die Chance, sich als Retter zu inszenieren. In seltener Deutlichkeit formulierte auch der AfD-Politiker Björn Höcke bereits 2015: „Das große Problem ist, dass Deutschland, dass Europa ihre Männlichkeit verloren haben. Ich sage, wir müssen unsere Männlichkeit wiederentdecken, denn nur, wenn wir unsere Männlichkeit wiederentdecken, werden wir mannhaft und nur wenn wir mannhaft werden, werden wir wehrhaft und wir müssen wehrhaft werden.“ Ironischerweise bietet daher gerade die Thematisierung von Gewalt gegen Frauen* über das Motiv des Retters die Möglichkeit, zentrale Leitmotive des Antifeminismus wie die angebliche „Verweiblichung der Gesellschaft“ bzw. „Krise der Männlichkeit“ in Stellung zu bringen. Ethnosexismus umfasst dementsprechend auch beides, die „Sorge, als hegemoniale ‚Rasse‘ und Geschlecht auszusterben“.
In der rechtsextremen Fassung nimmt der „Schutz unserer Frauen“ folgerichtig die Form einer offenen Kopplung von Rassismus, heterosexistischen Geschlechterverhältnissen und nativistischer Bevölkerungspolitik an (vgl. etwa das Plakat der AfD „Neue Deutsche? Machen wir selber“). Wirkmächtigkeit weit über die extreme Rechte hinaus erlangt Ethnosexismus aber v.a. über die Inszenierung von Freiheitsmotiven, die der Abgrenzung und gesellschaftlichen Selbstvergewisserung dienen. Sexuelle Freiheit bietet sich in besonderer Weise für Symbolpolitik an, wie Dietze festhält: „Nun ist sexuelle Freiheit gegenüber anderen Freiheiten kostenneutral. Sie erfordert keine höheren Löhne, billigere Mieten, bessere Altersversorgung oder mehr Kita Plätze. Insofern ist die Fokussierung auf sexuelle Freiheit in Verbindung mit ihrer angeblichen Gefährdung durch die Immigration ‚rückständiger‘ Menschen aus dem globalen Süden zu einem zentralen Staats-Diskurs geworden, der von der neoliberalen Reduzierung der Daseinsfürsorge ablenkt.“
Feministische Antworten
Ein Effekt des Ethnosexismus ist damit die unbemerkte Rücknahme der materiellen Grundlagen von Emanzipation und relativer Gleichberechtigung der Geschlechter. Das bestärkt die Diagnose, wonach Feministinnen* den Fokus auf Sorgebeziehungen und Sorgearbeit legen müssen, wenn sie dem aktuellen Antifeminismus etwas Wirksames entgegensetzen wollen.
Kurzfristigere Strategien in den Auseinandersetzungen mit Gewalt gegen Frauen* müssen tatsächlich deren Schutz – und nicht männliche Selbstinszenierung – zur Leitlinie machen. Dabei sollten gerade besonders vulnerable Gruppen wie etwa geflüchtete Frauen* oder Migrant*innen in Pflege- und Haushaltstätigkeiten im Zentrum stehen. Minutiös ausgearbeitet Reformvorschläge der österreichischen Gewaltschutzzentren liegen schon seit Jahren vor.
ÜBER DIE AUTORIN
Stefanie Mayer ist Politikwissenschaftlerin und wissenschaftliche Mitarbeiterin am IKF in Wien. Ihre aktuellen Forschungsschwerpunkte liegen im Bereich Rechtsextremismus, Rechtspopulismus, Rassismus und Antifeminismus.