Krise der Männlichkeit? Krise der Demokratie. Anti-Gender-Mobilisierung im Kontext eines autoritären politischen Projekts der politischen Rechten

Geschlechterfragen stellen einen der zentralen Bezugspunkte rechtsgerichteter autoritärer Akteur*innen dar. Dabei geht es nicht nur um die (Wieder-)Herstellung traditioneller Geschlechterverhältnisse, sondern um einen fundamentalen Angriff auf die Grundlagen der Demokratie. Ursachen liegen nicht zuletzt in der autoritären Deutung der Krise neoliberaler Umstrukturierung, der letztlich nur eine feministische Transformation materieller Verhältnisse entgegengesetzt werden kann, die wiederum Sorgebedürfnisse ins Zentrum rückt.

Die autoritäre Rechte gibt den fundamentalen Veränderungen, ja Erschütterungen neoliberaler Umstrukturierungen die Deutung einer Krise der Männlichkeit, verursacht durch Gleichstellungspolitik und verschärft durch Migration und Globalisierung. Dieses Deutungsmuster muss auf der materiellen Ebene verschoben und verändert werden – durch die Transformation der Dominanz des Marktes, durch die Re-Etablierung sorgender sozialer Infrastrukturen und durch demokratische Institutionen, die von den Lebenszusammenhängen der Menschen ausgehen, die ihre Sorgebedürfnisse anerkennen und so autoritäres Begehren beseitigen. Diese feministische Transformation ermöglicht Gewinne an Lebensqualität für alle Menschen.

 

Bedrohung von Zweigeschlechtlichkeit und Männlichkeit?

Auch wenn im Zentrum der Mobilisierung der globalen autoritären Rechten Migrationsfragen, Integration und Islam stehen, so sind diese Akteur*innen in den vergangenen 15 Jahren auch von Geschlechterfragen geradezu besessen. Sie beteiligen sich an der sogenannten „Anti-Gender-Bewegung“ und kämpfen gegen das dekonstruktivistische Gender-Konzept, gegen Gender Mainstreaming und sexuelle Diversität wie auch gegen reproduktive Rechte von Frauen. Unter dem Label „Anti-Genderismus“ zeichnet die autoritäre Rechte ein umfassendes Bedrohungsszenario – der angeblich natürlichen Zweigeschlechtlichkeit und Arbeitsteilung zwischen Männern und Frauen, der heterosexuellen Kleinfamilie, der Reproduktion der Nation und des Staates. Im Kern dieser Geschlechter- und Sexualitätspanik steht die vermeintliche Feminisierung von Gesellschaften sowie eine Krise von Männlichkeit und maskuliner Werte.

 

Maskulinistische Identitätspolitik

Der Verunsicherungsdiskurs führt gleichsam notwendig zu Rettungsphantasien durch die autoritäre Rechte. Um diesen Entwicklungen zu begegnen, verspricht die autoritäre Rechte die Wiederherstellung der tradierten Geschlechterordnung sowie die Re-Souveränisierung von Männlichkeit, also von Werten wie Wehrhaftigkeit und Mannhaftigkeit (Björn Höcke von der Alternative für Deutschland), Mut und Risiko (Werner Reichel in einer Schrift des Team Stronach) oder auch ein Thymostraining, also das Erlernen von Aggressivität und Wut (Marc Jongen in einem Vortrag im rechten Think Tank „Institut für Staatspolitik“). Diese „maskulinistische Identitätspolitik“ deutet nicht nur neoliberale Veränderungen der vergangenen 30 Jahre als durch Gleichstellungspolitik oder durch Migration verursacht um, sondern schlägt autoritäre und anti-feministische Lösungen dieser als Krise gedeuteten Konstellation vor, nämlich Versicherheitlichung, Kontrolle und Disziplinierung.

 

Autoritärer Anti-Feminismus

Der autoritäre Charakter der populistischen Rechten zeichnet sich durch die Verknotung von Bedrohung, Kontrollverlust und Verunsicherung mit dem Versprechen von Sicherheit durch Führung, Disziplin, Hierarchie, Unterordnung und Ausgrenzung aus. Gefördert wird das Recht auf Aggressivität, Wut und Ausschluss von als nicht-zugehörig Identifizierten – seien dies Migrant*innen, Muslim*innen, Geflüchtete, Feminist*innen oder LGBTIQ-Personen. Die politische Rechte greift die ambivalente Situation auf, die der Neoliberalismus kreierte, und treibt die Widersprüchlichkeit voran, nicht zuletzt durch exklusive Angebote der Zugehörigkeit aufgrund von Nationalität oder Geschlecht, um zugleich eine kurzfristige – autoritäre, anti-feministische Lösung bzw. Stabilität, z.B. in hierarchischen Geschlechterverhältnissen, zu etablieren. Die Bedrohung von Geschlechtergewissheiten wird zum Brennpunkt der Rechtfertigung von autoritärer gesellschaftlicher Ordnung, um Sicherheit und Kontrolle zu re-etablieren.

 

Maskulinistische Konjunktur und Staatsumbau

Die autoritär-populistische Rechte moduliert also mit dem Anti-Gender-Diskurs eine autoritäre, eine maskulinistische Konjunktur. Sie will damit ihr anti-demokratisches politisches Projekt durchsetzen. Die Ausgrenzung von Migrant*innen und die neue Geschlechterideologie, die durchaus auf alte anti-feministische Narrative zurückgreift, sind Teile einer Strategie, um für diesen Umbau des Staates Konsens herzustellen, also autoritäre und ausschließende Diskurse und Praktiken zum common sense zu machen.

 

Anti-demokratische Narrative

Mit der Geschlechterideologie können zahlreiche Vorstellungen über das „Wir“, das „Volk“ transportiert werden, die diskursiv ein anti-demokratisches Projekt herzustellen trachten. Am Geschlechterdiskurs wird deutlich, dass es der autoritären Rechten insbesondere um die Zerstörung einer Idee des „Demos“ geht und um deren Ersetzung durch eine ethnische Vorstellung vom „Volk“. Aus der natürlich-familiären und patriarchalen Vorstellung des Volkes, wie sie die autoritäre Rechte in ihrem Kampf gegen „Gender“ propagiert, folgt ein anti-demokratischer Gestus gegen Selbstbestimmung und Volkssouveränität: Das über die Geschlechterfigur konstruierte Volk ist eine schwache, passive und handlungsunfähige Einheit, ein betrogenes Opfer, das vor der Verführung durch korrupte politische Eliten oder Medien gerettet werden muss. Autoritär-rechte Führungspersönlichkeiten imaginieren sich als Retter, so dass der laute Appell an das Volk als Souverän, die Forderung und das Versprechen direktdemokratischer Verfahren eher einen Bedarf an Führung, denn eine Chance zur Partizipation nahelegen. Repräsentativ-demokratische Verfahren, Normen und Regeln werden zwar von der autoritären Rechten im politischen Kampf um Macht instrumentalisiert, sie stehen diesem politischen Projekt allerdings nicht nur diametral gegenüber, sondern im Weg. Werte wie Aggressivität, Heroismus, Mann- und Wehrhaftigkeit zeugen außerdem von einer kriegerischen Vorstellung staatlichen Regierens.

 

Autoritäre Rechte als neoliberales Erbe

Das anti-demokratische und autoritäre Projekt der Rechten wurde im Neoliberalismus vorbereitet. Angela Merkels Rede von einer „marktkonformen Demokratie“ im Jahr 2011 war bereits ein Hinweis auf eine strategische Erosion liberal-demokratischer Grundwerte. Die autoritäre Rechte greift also die anti-demokratischen Tendenzen, die der liberalen Parteiendemokratie innewohnen, auf und treibt sie weiter.

 

Gegenstrategien

Was kann gegen diese Art von aggressivem Maskulinismus, was gegen diese autoritär-maskulinistische Konjunktur getan werden? Bildung und Aufklärung schaden sicher nicht, setzt sich doch die Wählerschaft rechts-autoritärer Parteien vor allem aus schlecht ausgebildeten Männern zusammen. Aber Bildung alleine reicht nicht, denn die rechts-autoritären Akteur*innen verfügen selbst über gute Bildung, die sie nicht vor Ausschluss, Rassismus, Niedertracht schützt. Die Kulturtheoretiker Stuart Hall und Lawrence Grossberg führten das „Konjunktur“-Konzept ein, um darauf aufmerksam zu machen, dass Transformationen und Krisen in Ökonomie und Gesellschaft, vor allem im Leben von Menschen, durch politische Akteur*innen mit einer umfassenden Bedeutung versehen werden (müssen). Die autoritäre Rechte gibt den fundamentalen Veränderungen, ja Erschütterungen neoliberaler Umstrukturierungen die Deutung einer Krise der Männlichkeit, verursacht durch Gleichstellungspolitik und verschärft durch Migration und Globalisierung. Dieses Deutungsmuster muss auf der materiellen Ebene verschoben und verändert werden – durch die Transformation der Dominanz des Marktes, durch die Re-Etablierung sorgender sozialer Infrastrukturen und durch demokratische Institutionen, die von den Lebenszusammenhängen der Menschen ausgehen, die ihre Sorgebedürfnisse anerkennen und so autoritäres Begehren beseitigen. Diese feministische Transformation ermöglicht Gewinne an Lebensqualität für alle Menschen.

 

ÜBER DIE AUTORIN

Birgit Sauer ist Professorin für Politikwissenschaft an der Universität Wien. Ihre Forschungsschwerpunkte liegen im Bereich Governance und Geschlecht, Politik der Geschlechterverhältnisse, Staats- und Institutionentheorien, Politik und Emotionen sowie Rechtspopulismus und Geschlecht. Aktuell forscht sie u.a. zum populistischen Backlash und zu democratic backsliding in der EU.