Antifeminismus als transnationaler Kulturkampf gegen „Gender”

Geschlechter- und Sexualpolitiken wurden in den letzten Jahrzehnten weltweit zu einem zentralen Feld politischer Auseinandersetzungen. Wir befassen uns in einer Serie von Beiträgen mit Facetten dieses neuen Antifeminismus, der nicht nur die Re-Traditionalisierung von Geschlechterverhältnissen anstrebt, sondern als Teil eines umfassenden politischen Hegemonieprojekts rechtskonservativer, rechtsextremer und autoritärer Akteur*innen zu verstehen ist. Der vorliegende Beitrag beschreibt einige Hintergründe und Entwicklungslinien aktueller Mobilisierungen.

 

Im Jänner 2013 brachte die „Manif pour tous“ („Demo für alle“) gegen die Einführung der „Ehe für alle“ und das Adoptionsrecht für gleichgeschlechtliche Paare in Frankreich Hunderttausende auf die Straße und wurde damit zum ersten ganz großen Mobilisierungserfolg der aktuellen antifeministischen Bewegung in Europa. Neben Darstellungen traditioneller Familien war auch der Slogan „We want sex not gender“ vielfach zu sehen. Die selbstironische Parole verweist auf die Re-Interpretation des Begriffs „Gender“, welche die diskursive Basis der aktuellen Angriffe auf sexuelle und reproduktive Rechte, institutionelle Gleichstellungspolitiken, akademische Gender Studies und sexualpädagogische Angebote bildet. Auffällig ist die transnationale Dimension des Phänomens, die sich in der Verwendung der immer gleichen Argumentationsfiguren in ganz unterschiedlichen Kontexten (von Japan bis Costa Rica und von Ghana bis Österreich) äußert.

 

Die Erfindung der „Gender-Ideologie“

Der Begriff „Gender-Ideologie“ (oft auch als „Genderwahn“ oder „Genderismus“ bezeichnet) wurde Mitte der 1990er Jahre vom Vatikan und katholischen Intellektuellen in Reaktion auf die Integration des Gender-Konzepts in Abschlussdokumente der UN-Konferenzen in Kairo 1994 und Beijing 1995 geprägt. Die Themen waren dabei keineswegs neu – es ging um die Ablehnung sexueller und reproduktiver Rechte, insbesondere von Schwangerschaftsabbrüchen und Homosexualität. Der Fokus auf den Begriff Gender bedeutete vielmehr eine strategische Neuausrichtung, mit der sich der Vatikan als vermeintlicher Vertreter von Frauenanliegen gegen die UN-Bürokratie und mächtige feministische Lobbygruppen aus dem globalen Norden positionierte. Der Kampf gegen Emanzipation und Gleichberechtigung wurde so zum Aufstand einer marginalisierten Minderheit gegen übermächtige Gegner*innen umgedeutet – eine Strategie, die Mobilisierungen „gegen Gender“ bis heute prägt. Geblieben ist auch der diskursive Kern dieses Antifeminismus im neuen Gewand, der in der Verteidigung des „natürlichen“ und/oder „gottgewollten“ Geschlechterdualismus und einer daraus direkt abgeleiteten heterosexistischen und patriarchalen sozialen Ordnung besteht. Die Kritik daran – wie sie u.a. dekonstruktivistische und queer-feministische Geschlechtertheorien üben – lässt sich so als Angriff auf die Idee der Familie und damit die Keimzelle von Staat, Gesellschaft und sozialer Ordnung deuten.

Zu Beginn der 2000er Jahre konsolidierte der Vatikan diese Position in einer Reihe von Veröffentlichungen, die internationale Verbreitung fanden. Zunächst wurden diese Ideen v.a. in (rechts-)katholischen und evangelikalen Kreisen aufgegriffen, mit der (strategischen) Säkularisierung des Diskurses wurde dieser jedoch auch für die politische Rechte interessant.

 

Biologismus und völkisches Denken

Rechtsextremismus lässt sich in aller Kürze als Ideologie der Naturalisierung von Ungleichheit definieren, d.h. als Legitimation gesellschaftlicher Hierarchien durch Rekurs auf eine angeblich unveränderbare „Natur“, die Menschen ebenso unveränderbare gesellschaftliche Position zuweise. Der oben skizzierte christliche Anti-Gender-Diskurs ist mit diesem Denken perfekt kompatibel – es muss lediglich „Gott“ durch „Natur“ und die „Schöpfung“ durch „Biologie“ ersetzt werden, während die argumentative Logik beibehalten werden kann. Die in völkischen Ideologien implizierte Gleichzeitigkeit von biologischer und kultureller Reproduktion des „Volkes“ in der traditionellen, ethnisch reinen Familie führt – wenn auch aus anderen Gründen – zu einer ähnlichen Panik vor deren Kontamination, Auflösung oder Abschaffung wie im christlichen Diskurs. Dazu kommt die besonders starke Ausprägung der Ideale soldatischer Männlichkeit, die mit der aggressiven Abwehr „verweiblichter“ Homosexualität einhergeht, einerseits und politisierter Mutterschaft, die das Kinderkriegen zur Verpflichtung gegenüber der Gemeinschaft stilisiert, andererseits. Rassismus, Antisemitismus und Antifeminismus laufen in der Figur „unserer“ bedrohten (weißen/deutschen/österreichischen) Familie zusammen.

Während dieses biologistische Denken mit Bezug auf „Rassen“ nach dem Nationalsozialismus gründlich diskreditiert war (und daher in der Form einer „Kulturalisierung“ des Sozialen wiederkehrt), ist die Idee einer grundlegenden biologisch begründeten Verschiedenheit von Frauen und Männern weitgehend an den common sense anschlussfähig. Der aktuelle Antifeminismus birgt damit nicht nur für die Vernetzung der religiösen und politischen Rechten großes Potential, sondern reiht sich auch in rechtspopulistische Strategien ein, die im gesellschaftlichen Mainstream wirksam sind.

 

Verschwörung der Eliten: „Hidden Agenda“ und „Homo-Lobby“

Ein mächtiges diskursives Werkzeug des aktuellen Antifeminismus ist die verschwörungsmythisch aufgeladen Behauptung, Feminismen und LGBTIQ+-Politiken würden „verdeckte Ziele“ verfolgen. Es ginge nie „nur“ um Gleichstellung, sondern um die Zerstörung der Familie, nie „nur“ um die Verwirklichung gleicher Menschenrechte, sondern um die Abschaffung von Geschlecht überhaupt. Diese Argumentationsfigur verfolgt mehrere strategische Ziele. Sie dient erstens der Absicherung gegen Kritik – wie sollten die Angegriffenen beweisen, dass sie keine derartigen Ziele verfolgen? Zweitens dramatisiert und emotionalisiert sie die Debatte, da es (scheinbar) immer um eine gesamthafte Bedrohung geht. Nur vordergründig wird darüber gestritten, ob dieses sexualpädagogische Curriculum den Bedürfnissen der Kinder entspricht oder diese gleichstellungspolitische Maßnahme Männer benachteiligt, tatsächlich sehen sich antifeministische Bewegungen in einem Kulturkampf, in dem die Gestaltung der Gesellschaft insgesamt – und in der Verknüpfung mit nationalistischen Motiven das Überleben der Nation – auf dem Spiel stehen.

 

Intersektionale Bündnisse

Für Feminist*innen scheint im ersten Moment die Richtigstellung der anti-feministischen Fehldeutungen die wichtigste Antwort auf die antifeministischen Anwürfe zu sein. Wieder und wieder geht es darum zu begründen, warum diese Maßnahme sinnvoll oder jene rechtliche Liberalisierung notwendig ist, um Leid zu mindern.

Häufig ist es aber auch nötig, gerade die oben angesprochenen Mechanismen der Konstruktion eines umfassenden Kulturkampfes sichtbar zu machen, um zu verdeutlichen, dass es sich bei antifeministischen Angriffen gerade nicht um Kritik handelt (die ja Interesse an der Verbesserung ihres Gegenstandes hätte), sondern vielmehr um Strategien der Delegitimierung und des Mundtotmachens.

Es geht darüber hinaus aber auch darum, den Kulturkampf von rechts als solchen ernst zu nehmen und entsprechende Gegenstrategien zu entwickeln. Emanzipatorische Bewegungen brauchen intersektionale und transnationale Bündnisse, um Erreichtes gegen den global agierenden Antifeminismus zu verteidigen und Weiterentwicklungen anzustoßen, die Geschlecht als sozialen Platzanweiser tatsächlich abschaffen.

 

ÜBER DIE AUTORIN

Stefanie Mayer ist Politikwissenschaftlerin und wissenschaftliche Mitarbeiterin am IKF in Wien. Ihre aktuellen Forschungsschwerpunkte liegen im Bereich Rechtsextremismus, Rechtspopulismus, Rassismus und Antifeminismus.